Ganz schön lautstark: Die US-amerikanische Rockband Dinosaur Jr. hat im Stuttgarter Wizemann gespielt. Hier unsere Kritik.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Nur eine kleine Schicksalfügung, und die Geschichte wäre völlig anders gelaufen. Joseph Donald Mascis, einst Schlagzeuger der Band Deep Wound, hätte einfach nur ja sagen müssen zum sogar zweifach ausgesprochenen Angebot, Drummer bei der Band Nirvana zu werden. Das hat er aber nicht, und so ist die Band Nirvana ohne ihn groß geworden, sehr groß sogar. Mascis wiederum hat auf die Gitarre umgesattelt und die Band Dinosaur Jr. gegründet.

 

Satte dreißig Jahre ist das her, Nirvana ist längst Geschichte, aber noch immer mythenumweht und ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Die Männer von Dinosaur Jr. hingegen, eher Kritiker- als Publikumslieblinge, machen unverdrossen weiter. So also steht Mascis am Dienstagabend auf der Bühne des ausverkauften Clubs im Stuttgarter Wizemann und kündigt zur Zugabe des Dinosaur-Jr.-Konzerts ein Lied seiner früheren Band Deep Wound an, eine Old-School-Punknummer, die er und seine beiden Mitstreiter runterknüppeln, ehe die Band sich mit einem ihrer alten Hits, der herrlich grotesken Coverversion des Cure-Klassikers „Just like Heaven“, verabschiedet.

Bis die Ohren abfallen

So weit, so originell – leider hat sich der Saal zu diesem Zeitpunkt schon beträchtlich geleert. Allerdings nicht angesichts der fortgeschrittenen Stunde, sondern aus gesundheitlichen Gründen, denn die Lautstärke, mit der das US-Trio zu Werke ging, hat die ersten Besucher bereits nach wenigen Songs in die Flucht geschlagen. Der Gitarrist Mascis und der Bassist Lou Barlow haben hinter sich einen Wald voller Marshall-Amps aufgebaut, mit denen selbst Motörhead ein Konzert auf dem Stuttgarter Wasen hinreichend beschallen könnte, halb eingemauert haben sich die Dinosaurier des Punk in den Verstärkertürmen. Entsprechend fällt das Ergebnis aus: unerträglich laut, völlig überdimensioniert und von einer klanglichen Brutalität, bei der selbst lang gediente Konzertbesucher tief im Erinnerungskästchen kramen müssen, um sich an eine vergleichbare Infernalität zu erinnern. Überflüssig ist das, zumal damit sicherlich kein Jungspund zu beeindrucken ist: Das erstaunlicherweise fast ausschließlich maskuline Publikum besteht aus längst in der Mitte der Gesellschaft angekommenen Menschen an der Schwelle vom Best-Ager zum Silver-Ager.

An dieser Schwelle steht auch Mascis mit seiner wallenden Silbermähne, doch obwohl er gütig aussieht, sind sein und insbesondere Barlows Furor noch so ungebrochen wie zu jenen Zeiten, als sie mit Alben wie „Bug“ oder „Green Mind“ den Grunge mitbegründeten und den Noiserock prägten. Hier wird geklotzt statt gequatscht, auf die Zuhörer donnern Mascis’ schwere Riffgewitter und Barlows Bassgitarrenklänge herab – Barlow übrigens versteht in diesem dezibelstarken Konzert den E-Bass als fast gleichberechtigtes Melodieinstrument.

Als sich die Ohren endlich an die absurde Lautstärke gewöhnt haben, lassen sich ausgetüftelte Songstrukturen wie etwa in „I walk for Miles" – dem besten Song ihres aktuellen Albums „Give a Glimpse of what yer not“ – dann sogar genießen. Ein feines Lied, das allerdings die viel zu rare Ausnahme ist in diesem Stahlsaitenbad im Stuttgarter Wizemann, in dem viel zu viel Ausdifferenzierung in viel zu viel verzerrter Übersteuerung hoffnungslos untergeht.

Lärm als Selbstzweck: als künstlerische Extremposition mag man das gelten lassen, desillusionierend ist dies bei diesem Konzert aber für alle, die mithilfe des Repertoires der Dinosaur Jr. in wohligen Erinnerungen schwelgen wollten.