Dittmar Lumpp ist der kaufmännische Geschäftsführer des Internationalen Trickfilmfestivals. Im Sommer geht er in Rente. StZ-Autor Ingmar Volkmann hat ihn auf dem Weg zu seinen letzten Animations-Festspielen begleitet.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Wäre Dittmar Lumpp eine Trickfilmfigur, er wäre eine Mischung aus Sponge Bob und Dagobert Duck. Sponge Bob, weil der kaufmännische Geschäftsführer des Internationalen Trickfilm-Festivals Stuttgart (ITFS) alles wie ein Schwamm aufsaugt. Ein bisschen Dagobert Duck steckt in ihm, weil er die Finanzen der Animationsfestspiele mit harter Hand verantwortet. Im Gegensatz zur Figur aus Entenhausen taucht Lumpp aber nicht in seinem Geldspeicher ab. Er hat das Budget des ITFS so geschickt eingesetzt, dass er das Festival gemeinsam mit seinem Pendant, dem künstlerischen Leiter Ulrich Wegenast, in ungeahnte Höhen führen konnte.

 

Das 24. Internationale Trickfilm-Festival, das am 2. Mai beginnt und bis zum 7. Mai dauert, ist die letzte große Lumpp-Show. Im Sommer hört er auf. Für die StZ ist diese Zäsur Anlass, Lumpp auf dem Weg zu seinem letzten Festival zu begleiten.

Termin bei Breuninger: die ITFS-Macher sind entsetzt.

Die Reise beginnt Monate vor dem ITFS mit einem Termin bei Breuninger. Ein gläserner Besprechungsraum mitten im Breuninger-Think-Tank. Es geht um die Bespielung der Kaufhausfassade. 2016 durfte das Festival erstmals die Front als Fenster zum Fest nutzen. Wunderschöne junge Menschen gehen in der Teeküche neben dem Konferenzraum ein und aus. Der Handelsriese schlägt ein Motiv vor, angesichts dessen die Pläne der Projektpartner, die Fassade mithilfe sogenannter Augmented Reality zu bespielen, eher mittelgut umzusetzen wären. Das eigentliche, gemeinsame Ziel: Mit einem Smartphone oder Tablet soll man Trickfilmfiguren über die Außenwand des Kaufhauses jagen können.

Lumpp und die beiden Agenturen, die das Vorhaben technisch umsetzen sollen, sind entsetzt. So richtig anmerken lassen will es sich aber keiner der Beteiligten. „Ich bin etwas überrascht, weil Sie uns ein Motiv vorschlagen, das mit dem Festival nichts zu tun hat“, sagt Lumpp nach einem kurzen Moment der Stille. Es folgt ein Abtasten auf dem Weg zur bestmöglichen Lösung für alle Beteiligten. Lumpp liebt ein solches Ringen um den besten Deal. „Ich muss dramatisch auf den Faktor Zeit hinweisen. Wir wollen am Ende nicht ein Schild hinstellen müssen, dass wir leider noch nicht so weit waren.“ Die Entscheidung drängt noch aus einem anderen Grund. Die eine Agentur ist aus Düsseldorf und stellt bald für einige Tage das Arbeiten ein: Karneval steht vor der Tür. Der Agenturchef geht als Schimanski. Das aber nur fürs Protokoll.

Zu Risiken und Nebenwirkungen des Verhandelns mit Lumpp frage man Kulturschaffende

Nächster Termin kurze Zeit später. Heimspiel für Lumpp. Eine Technikfirma ist ins Büro der Film- und Mediengesellschaft gekommen, um Größe und Art der Leinwände zu besprechen. Der Technikchef macht sich beliebt, als er von einem Termin mit dem Baden-Württembergischen Schützenverband erzählt, der mit dem ITFS zu vergleichen sei. „Jetzt bewegen Sie sich auf ganz dünnem Eis“, sagt Lumpp und lächelt sinister. Der Ton wechselt schlagartig von partnerschaftlich zu böse, als Lumpp auf einen seiner Meinung nach unangemessenen Vorschlag zum Thema Geld reagiert. Der Technikspezialist ist nach dem Einlauf einen Kopf kürzer.

Zu Risiken und Nebenwirkungen des Verhandelns mit Dittmar Lumpp frage man nicht Arzt oder Apotheker, sondern Kulturschaffende: Überall hört man ähnliche Einschätzungen. Die Doppelspitze Wegenast und Lumpp habe, wenn nötig, das Spiel „Good Cop, bad Cop“ gegeben. „Nachdem man mit Uli verbindlich das Inhaltliche geklärt hatte, musste man sich mit Herrn Lumpp oft auf die harte Tour auseinandersetzen, sobald es ums Finanzielle ging. Man muss ihm aber zugute halten, dass es für ihn immer ums Festival ging“, sagt einer, der häufig geschäftlich mit Lumpp zu tun hatte. Mit seiner harten Art zu verhandeln, habe Lumpp das Trickfilm-Festival da hingeführt, wo es heute steht.

Dittmar Lumpp ist seit 1994 mit dem Trickfilm-Festival verbunden

Seit 1994 ist Lumpp mit dem ITFS verbunden. Damals agierte er neben Albrecht Ade als Zweiter Vorstand. Einer seiner Hospitanten in dieser Zeit war – Ulrich Wegenast. 1998 verabschiedete er sich aus dem Filmakademie- und Trickfilm-Umfeld, um als Vorstand und Geschäftsführer bei der Euroarts Medien AG und der Firma Elektrofilm Postproduktion zu fungieren. Damals erlebte er den Wahnsinn rund um den Neuen Markt hautnah mit.

2005 kehrte Lumpp zum ITFS zurück. Gemeinsam mit Wegenast, der inzwischen seine Sporen beim Stuttgarter Filmwinter verdient hatte, krempelte Lumpp die Strukturen des Animationsfestes um: vom eingetragenen Verein zur gemeinnützigen GmbH. Lumpp und Wegenast führten das Festival aus der zeitlichen und örtlichen Nische heraus: Vom Zwei-Jahres-Turnus hin zu einer jährlichen Veranstaltung, von der Liederhalle ins Herz der Stadt.

Im Vergleich zu 2006 haben sich die Zuschauerzahlen des ITFS verdoppelt

Das Vorhaben begann mit einem Anruf von Super RTL an Lumpps erstem Arbeitstag: „Wir können euch leider nicht mehr finanziell unterstützen“, lautete die Botschaft des Telefonats. „Damit waren wir auf einen Schlag bei null bei der Fremdfinanzierung. Heute wird das Festival zu 60 Prozent durch unsere Partner finanziert“, erklärt der gebürtige Bruchsaler, der in Rottenburg lebt. Im Vergleich zu 2006 haben sich die Zuschauerzahlen verdoppelt. 2016 kamen rund 80 000 Besucher, um etwa 1000 Festivalbeiträge zu sehen. Dazu pilgern Filmschaffende aus aller Welt zum „Animation Production Day“, bei dem große Filmdeals abgewickelt werden.

Was Wegbegleiter von Dittmar Lumpp konstatieren: Der 64-Jährige habe sich extrem gewandelt. Vom Schnauzbart tragenden kaufmännischen Leiter der Filmakademie in Ludwigsburg, der in den Neunzigern mit Professoren und Studenten immer ein wenig fremdelte, hin zum souveränen Gastgeber, der im Gespräch unter vier Augen sehr charmant und selbstironisch sein kann. Vom leicht reizbaren ITFS-Chef hin zum Elder Statesman, der unterhaltsam aus einem bewegten Leben zwischen Theater, Akademie und Neuem Markt plaudert.

Durch einen Trick schaffte es das Festival 2011 auf den Schlossplatz

Der vielleicht größte Erfolg Lumpps in Bezug auf das ITFS: die Umwandlung eines Spezialistentreffs in ein familiäres Open-Air-Festival und die Einnahme des Schlossplatzes, den er intern „Stadion“ nennt. „Ich erinnere mich noch an die erste Pressekonferenz von Uli und mir, auf der wir unsere Pläne verkündet haben. Das Open Air war Vehikel und Symbol zugleich. Die Gesichter im Publikum wechselten zwischen Erstaunen und Erschrecken.“ Jahrelang habe man sich auf dem Weg zum Schlossplatz blutige Nasen geholt, sich über die Bolzstraße aber immerhin bis an den Rand des Platzes vorgearbeitet.

2011 folgte der Durchbruch, der anfangs als maximale Krise verkleidet war. Lumpp erinnert sich: „In dem Jahr könnt ihr auf keinen Fall auf den Schlossplatz, weil dort 125 Jahre Automobil gefeiert werden, hieß es.“ Der Regisseur des ITFS machte den Verantwortlichen des Automobilsommers ein Angebot, das sie nicht ablehnen konnten: „Ich habe vorgeschlagen, unsere Leinwände kostenlos einzubringen, damit der Korso übertragen werden kann.“ Die Auto-Macher willigten dankend ein, das Animationsfest hatte es endgültig in die gute Stube der Stadt geschafft: in die Mitte des Schlossplatzes. Ein hellsichtiger Behördenvertreter unkte bereits damals: „Wenn der Lumpp einmal auf dem Platz ist, kriegen wir ihn da nie wieder weg.“

Das ITFS ist kein Bier-Fest, sondern eine Kaffee- und Weißwein-Feier

Heute investieren die Macher einen sechsstelligen Betrag in die Sicherheit des Festivals. Immer wieder hört Lumpp den Vorschlag, einen Zaun um das Festival herum aufzubauen und Eintritt zu verlangen. „Das wollen wir aber nicht, weil es nicht zum Charakter der Veranstaltung passt.“ Wie lässt sich der am ehesten beschreiben? Mit einer Anekdote aus der Zeit der Restrukturierung. Lumpp pokerte mal wieder hoch und versprach einer Brauerei aus dem Allgäu astronomische Hektoliter Bierabsatz. Nachdem die Brauerei die tatsächlichen Zahlen ausgewertet hatte, wurde der Vertrag beendet: Das ITFS ist kein Bierfest, im Gegenteil, es ist eine Kaffee- und Weißwein-Feier für die ganze Familie.

Der letzte gemeinsame Termin auf dem Weg hin zu den letzten internationalen Dittmar-Lumpp-Festspielen ist ein interner Jour Fixe kurz vor dem Festival. Man sagt nicht „Büdschee“ zum Budget, sondern „Batschät“, schließlich ist man hier beim Festival of Animated Film. Den Tenor der Besprechung fasst Lumpp wie folgt zusammen: „Wir wollen Probleme, die sich noch nicht abzeichnen, frühzeitig erkennen.“ Die heiße Phase hat begonnen, letzte offene Fragen werden aber in aller Ruhe geklärt.

In Anwesenheit von Dittmar Lumpp siezt man sich

Lumpp spricht über die Höhe der neuen Infosäulen für die Zuschauer („Lasst uns von acht auf fünf Meter heruntergehen, damit das Amt für öffentliche Unordnung nicht zu sehr hadert“). Er stellt die Anzahl der Tablets infrage, die man am Infostand neben Breuninger leihen kann, um an der Bespielung der Fassade teilzunehmen, die sich am Freitag, 28. April, in ein Piratenschiff verwandeln wird. Dann weist er eine Bewerberin ein, die sich um die Saalregie an einem der ITFS-Standorte Metropol, Kunstgebäude am Schlossplatz, Gerber und Mercedes-Benz-Museum kümmern soll.

Ungewöhnlich für eine Besprechung in diesem Milieu: Man siezt sich. Während Uli Wegenast eine eloquente Duz-Maschine ist und – wie in dieser Branche üblich – jeden wegduzt, der nicht bei drei auf dem Baum ist, ist Dittmar Lumpp ein Sie-Typ. „Ich bin mit nur wenigen Menschen per Du“, erklärt er nach der Teamsitzung. Egal ob du oder Sie, wieso sind alle so schrecklich entspannt hier, obwohl das Auge des Orkans in Sichtweite ist? „Hier arbeiten mittlerweile 16 Festangestellte, von denen jeder weiß, was zu tun ist.“

Wenn das Festival endlich losgeht, zieht Lumpp ins Hotel. Während der sechs ITFS-Tage befinde er sich in einem permanenten Adrenalinrausch als Trouble-Shooter, wie er erklärt: „Da schlafe ich maximal zwei Stunden pro Nacht.“ Das ITFS vergleicht er mit einem Berg, den es zu erklimmen gilt. Um nach der Veranstaltung nicht von einem Achttausender in ein tiefes Loch zu fallen, verschwindet Lumpp im Anschluss traditionell in die Natur, in diesem Jahr in die Berge. „Ich werde von Hütte zu Hütte wandern, das ist meine Form der Stressbewältigung.“ Die letzten Dittmar-Lumpp-Festspiele, sie können kommen. Der Regisseur des Trickfilm-Festivals ist bereit.