Tradition bewahren, Handwerk pflegen – und im Trend sein: Die Tonmühle hat ihren Platz bei den Kunden. Damit das so bleibt, hält der Müller an einer Maxime fest.

Es war eine Entscheidung, die die Existenz hätte kosten können. Erweitern oder nicht? In einen Hofladen investieren – oder es sein lassen? Familie Siegle entschied sich für Modernisierung und Erweiterung der Tonmühle in Ditzingen. Heute würden sie vermutlich sagen: Alles richtig gemacht. Der Hofladen wird frequentiert, das angegliederte Café von Spaziergängern und Radfahrern angenommen, das Mehl von kleinen Kunden und Großabnehmern gekauft. Der Betrieb von Müllermeister Ulrich Siegle ist zwar gewachsen, blieb aber doch überschaubar. Der 62-Jährige formuliert es so: „Wo Tonmühle draufsteht, ist auch Tonmühle drin.“ Dafür steht er selbst tagtäglich ein, wohl wissend, dass es verlockend wäre zu wachsen, jetzt, wo Bio im Trend ist. „Man muss aufpassen, dass man nicht unter die Räder kommt“, sagt der Müllermeister.

 

Am Handwerk eines Müllermeisters hat sich über die Jahrhunderte zwar nichts Wesentliches verändert, auch wenn die Technik Einzug gehalten hat, aber „von Hand wird nicht mehr viel gemacht“. Grundsätzlich hatte einst einer allein den ganzen Herstellungsprozess überblicken können, so Siegle. Der Müller ist nahe dran am Produkt. Für einen reibungslosen Betriebsablauf in der Tonmühle bedarf es heute aber mehr: „Vier braucht man mindestens.“ 12 Mitarbeiter arbeiten im Familienbetrieb; vier bis sechs gleichzeitig.

Die Tonmühle liegt am Glemsmühlenweg und ist laut dem Deutschen Mühlenverband in der Region Stuttgart eine von 20 Mühlen, die Getreide verarbeiten. Vier davon befinden sich im Kreis Ludwigsburg, neun im Landkreis Böblingen, eine im Enzkreis.

Von der Getreidemühle an der Glems war 1347 erstmals als Ortsbezeichnung zu lesen, „zu Tunne bi der Müline“. 1789 wurde die Anlage erneuert. Sie hatte ursprünglich drei Wasserräder, 1888 wurden diese durch ein oberschlächtiges Wasserrad ersetzt, 1901 dann durch ein größeres, vier Meter hohes. Gut 80 Jahre später wurde es stillgelegt und eine Turbine in Betrieb genommen.

Im Jahr 2008 stellte Siegle vollständig auf Bio um. Dem Biogedanken an sich war die Familie zu diesem Zeitpunkt schon rund zwei Jahrzehnte verpflichtet gewesen. Damals begannen viele erst damit, sich mit Bio zu beschäftigen, niemand sprach von Nudeln aus Dinkel, und die Bäcker „experimentierten“ noch nicht, wie es Siegle formuliert. „Am Anfang sind wir ausgelacht worden.“ Heute können sie das Besondere liefern, in jenen kleinen Mengen, die große Betriebe nicht ermöglichen können. Bei diesen ginge es um Produktionen von 400 Tonnen am Tag. „25 Tonnen können sie nicht machen.“ Ulrich Siegle kennt die Landwirte, die ihn mit ihrem Korn aus der Region beliefern, die notwendige Qualitätskontrolle findet direkt auf dem Mühlengelände statt. Ausgeliefert werden die Produkte wie etwa das Mehl dann ebenfalls von der Tonmühle. Auch in diesem Punkt hat sich das Unternehmen der Regionalität verschrieben. So bitter das sei, aber der Russland-Ukraine-Krieg bestätigte ihn darin. „Man hat gesehen, wie anfällig die Strukturen sind.“ Er verhehlt nicht, dass Bioqualität und Regionalität ihren Preis haben. „Bioregional ist Champions League.“ Andererseits seien die Erzeugnisse eben sehr viel nahrhafter, weil die Nährstoffe darin erhalten blieben.

Auch Familie Siegle – inzwischen sind die Kinder von Ulrich und Maria Siegle ins Unternehmen eingestiegen – hat beobachtet, dass sich die Menschen in der Pandemie den regionalen Produkten zugewandt haben. Aufmerksamkeit brachte der Tonmühle im 675. Jahr ihres Bestehens allerdings auch, dass der Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) den Erntebericht 2022 in der Tonmühle vorstellte – nachdem wenige Wochen zuvor, im Herbst, das Land die Öko-Aktionswochen just dort eröffnete, um den ökologischen Landbau stärker ins Bewusstsein der Verbraucher zu rücken.

Die Jogger, Radfahrer und Spaziergänger dürfte all das wenig interessieren. Sie genießen dort seit jeher ein Stück Natur entlang der Glems, einem Nebenfluss der Enz.