Seit 20 Jahren ist Ulrich Bahmer der Stellvertreter von OB Makurath. Was muss man in diesem Job mitbringen?

Ditzingen - Was muss ein Verwaltungschef mitbringen, will er an der Spitze oder als Vize einer Kommune erfolgreich sein? Wie Ulrich Bahmer aus Erfahrung weiß, benötigt es bei allem Ernst für das Amt offenbar eine große Portion Humor.

 

Herr Bahmer, was war in Ihrer Amtszeit bisher das Schönste?

So vieles gäbe es zu erzählen: Angefangen von den Bio-Honig-Cashew-Cookies des Eine-Welt-Ladens, die gute Feen stets in die Teeküche legen; über die persönlichen, auch freundschaftlichen Beziehungen in der Stadt; die offenen Worte, auch außerhalb der Arbeitszeit. Und natürlich eine Kollegialität, die, neben aller professioneller Zusammenarbeit, zu Begegnungen in stimmungsvollen Runden führt. Nicht zu vergessen: Ditziput.

Die Kinderspielstadt.

Die ich sehr schätze und der ich dankbar bin für die vielen, selbst gebastelten Erinnerungen. Hier überreichten mir Kinder übrigens einmal bei einem Besuch in Vertretung des Chefs als Gastgeschenk mit verschmitztem Lächeln eine Packung Tampons von „o.b.“ .

Der Job lebt von der Begegnung mit allen Altersgruppen....

Außerdem sind es die Veranstaltungen und – ebenso lustig wie fröhlich und schön – die vielen Begegnungen: Man soll Bücher entgegennehmen, um keine Mahngebühr in der wegen Urlaubs geschlossenen Stadtbibliothek bezahlen zu müssen, Jubilarbesuche mit Hinweisen wie: „Junger Mann, auf einem Bein kann man nicht stehen“, Fahrten in die Partnerstädte und natürlich die Sitzungen der städtischen Gremien, mit guten Beratungen, guten Ergebnissen und philosophischen Betrachtungen: „Wie die Zukunft war, können auch Sie nicht vorhersagen.“

Sie sind auch Geschäftsführer der Sozialstation Sodi. Dort ist kein Platz für Philosophie.

Was hier durch die Kolleginnen und Kollegen erreicht wurde, ist wirklich sehr schön. Meistens wird man dort auch fröhlich begrüßt mit einem „Sie sehen heute aber wieder abgearbeitet aus“.

Was war das Prägendste in 20 Jahren?

Sehr emotional waren 2002 die Besuche ehemaliger Zwangsarbeiter, die während des Zweiten Weltkriegs in Ditzingen und den heutigen Stadtteilen leben und arbeiten mussten. Unsicher ob der Reaktionen erwiesen sich rasch Bereitschaft zu Verständigung, Freundschaft und Dankbarkeit für ihre Erinnerungen als Brückenschlag. Auch in der Bürgerschaft, bei Schülerinnen und Schülern, bei der Landwirtschaft war ein sehr großer Wille zum Zuhören und zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit vorhanden und spürbar, sodass der Abschied mit einem freundschaftlichen „Auf Wiedersehen“ endete. Vor allem sehr leidvoll prägend war dann der 4. Juli 2010.

Emotionale Momente, die bleiben

Ein Starkregen brachte Zerstörung.

Das Materielle konnte vielmals etwa durch Versicherungen wiederhergestellt werden, städtische Einrichtungen wurden fortan besser vor Starkregen geschützt. Wesentlich prägender bis heute sind für mich die emotionalen und die physischen Betroffenheiten bis hin zu lebensgefährlichen Situationen: ein schwimmendes Kinderbett, in dem noch ein Kind lag, in der Weilimdorfer Straße, unwiederbringliche Briefe und Erinnerungen von Angehörigen von der Kriegsfront, eine Versicherungsinsolvenz unmittelbar vor dem Hochwasser. Nicht auszudenken, wäre das Hochwasser an einem Werktag gewesen, die Kita Glemsaue beispielsweise wäre belegt gewesen. Mit getroffenen und geplanten Maßnahmen zum Schutz vor den Starkregenrisiken und Klimafaktoren bleiben Stadt und Bürger hoffentlich vor weiteren Unbilden verschont. Es bleibt ein Dauerprozess.

Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: Ein Hochwasser bringt Zerstörung und Tod

Sie sind Verwaltungsfachwirt. Mit Verwaltungsarbeit verbindet man Bürokratie, nicht das bunte Leben.

Gerade das grenzt uns Kommunale von anderen Verwaltungs- oder gar Regierungsebenen ab, denn „hier unten“ spiegelt sich die Lebenswirklichkeit in allen Facetten wider. Das ist eine schöne Seite der Arbeit, das Direkte, das Umsetzen, aber es ist auch auch Verantwortung, Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit durch den direkten Kontakt mit den Bürgern. Hier sieht man sich sprichwörtlich immer zweimal.

Zum Beispiel?

Die Themen reichen von den defekten Aufzügen am Bahnhof über Busverspätungen bis hin zu fehlenden Mülleimern. Gerade in meinem Dezernat ist man nicht immer zuständig für die schönen Dinge des Lebens.

Eine Besonderheit prägt das Arbeiten

Sie sind dennoch zwei Jahrzehnte dabei.

Die Möglichkeit zu gestalten, ist das Schöne an der Tätigkeit.

Ditzingen hat einen vergleichsweise großen Spielraum.

Ja, das muss man klar abgrenzen. Dank der örtlichen Wirtschaft mit einer Vielfalt an Arbeitsplätzen und einem deutlichen Beitrag zum städtischen Haushalt ist der Handlungsspielraum vergleichsweise angenehm groß. Gleichwohl ist die Tätigkeit in der Summe der Dinge eine klare Empfehlung für alle, die auf der Suche nach Erfüllendem sind, die gestalten möchten, Dialogbereitschaft und Demut aufweisen, nicht aus Zucker sind und auch einem gewissen zeitlichen Aufwand – auch bei Dunkelheit und am Wochenende – zugeneigt sind. Und die auch beim Einkaufen, in der Kneipe oder beim Friseur stets bereit für Dienstliches sind.

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Wie änderte sich das Amt mit der Zeit?

Die Entwicklung ging weg vom Obrigkeitsdenken. Zu Recht, wie ich finde: Die Angst vor dem Gang aufs Rathaus und die Anrede mit Titel sind Vergangenheit. Die Bürgerschaft ist zudem teils besser ge- und ausgebildet als unsereiner. Krawatten trägt außer Herrn Makurath kaum noch jemand. Die Haltungen sind zu Recht aufgeklärter und kritischer. Außerdem hat sich die Tendenz zu Rechtsschutzversicherungen verstetigt.

Immer mehr ziehen gegen die Stadt vor Gericht.

Zudem haben Veränderungen in der Welt- und Bundespolitik Einfluss auf unser aller Tun genommen.

An was denken Sie vor allem?

Die Organisation der Flüchtlingskrise etwa. Insgesamt kann ich Kolleginnen und Kollegen verstehen, wenn sie für sich entscheiden aufzuhören, manchem Druck nicht oder nicht mehr gewachsen sind. Ich kann auch verstehen, dass der Beruf an sich nicht mehr die Qualität an Bewerbungen bringt wie bisher üblich und eine Tendenz zu Fachfremden erkennbar ist. Ich halte das allerdings für unbefriedigend, da insbesondere in kleineren Kommunen ein Schultes Verwaltungskompetenz aufweisen muss, da der Unterbau in der Verwaltung mangels Gemeindegröße oft fehlt. Ich selbst sehe vor allem die Gestaltungsmöglichkeiten und das positive Kümmern. Ideen können ab und an umgesetzt und im Gemeinderat Mehrheiten gefunden werden, im Konsens mit der Bürgerschaft. Für sie sind wir ja schlussendlich alle da. Ich kann nur empfehlen, die Herausforderung positiv anzunehmen.

Wollen Sie Ditzinger OB werden?

Ich hoffe sehr für die Stadt, Oberbürgermeister Makurath tritt nochmals an, und wir können als dienstälteste Wahlbeamte irgendwann in vielen, vielen Jahren gesund und munter in der Linde gemeinsam Abschied feiern – dann gern auch mit seiner geliebten Marzipantorte.

Es wird schon der Vergleich von einem alten Ehepaar bemüht.

Unsere Zusammenarbeit ist hervorragend, dafür bin ich sehr dankbar. Ein kommunalpolitisches Engagement außerhalb der Stadt kann ich mir für mich nicht vorstellen, dann müsste ich als Bürger diese Stadt verlassen, was ich – und meine Familie auch – ob der vielen Angebote und Möglichkeiten hier keinesfalls anstrebe. Und das Amt des VfB-Präsidenten ist ja besetzt – übrigens sehr gut.

Die Ditzinger Verwaltungsspitze

Das Amt
 An der Spitze der Verwaltung der knapp 25 000 Einwohner zählenden Großen Kreisstadt steht seit 1999 der Oberbürgermeister Michael Makurath (parteilos). Stellvertreter des Oberbürgermeisters ist der Bürgermeister.

Der Amtsträger
 Ulrich Bahmer, 51, ist seit dem Jahr 2001 Bürgermeister in Ditzingen. Der Christdemokrat ist unter anderem für die Bauverwaltung zuständig, außerdem für Senioren, Ordnung und Verkehr.