Die Helden von modernen Fernsehserien sind immer öfter böse Buben. Die Medienwissenschaftlerin Kathi Gormász weiß, warum Walter White aus der Kultserie „Breaking Bad“ oder der Mafiaboss Tony Soprano so gut ankommen.

Stuttgart - Sie lügen, betrügen, morden – und werden von den Zuschauern trotzdem geliebt: Moderne TV-Schurken wie der Drogendealer Walter White aus der Kultserie „Breaking Bad“ oder der Mafiaboss Tony Soprano („Die Sopranos“) gehen zwar über Leichen, taugen aber trotzdem als Identifikationsfiguren, weil sie nicht durch und durch böse, sondern auch fürsorgliche Familienmenschen sind. „Das macht das Komplexe, das Spannende und Vielschichtige dieser Figuren aus und sicher auch bis zu einem gewissen Grad das Potenzial, uns an sie zu binden“, erklärt die Medienwissenschaftlerin Kathi Gormász, die eine Doktorarbeit über das Thema geschrieben hat, die jetzt als Buch erschienen ist: In „Walter White & Co – Die neuen Heldenfiguren in amerikanischen Fernsehserien“ erläutert die Medienexpertin aus Berlin, was an bösen Buben in modernen Fernsehserien so faszinierend ist.

 

Kernthese ihrer Abhandlung: Ein Serienheld heutiger Prägung muss kein Gutmensch alter Schule sein, wie das früher vielleicht einmal war. Er darf auch rauben, brandschatzen und sogar töten, wenn die Zuschauer mit seinen Zielen einverstanden sind, seine „Motive billigen oder zumindest nachvollziehen können“, so Gormász.

Der Chemielehrer Walter White etwa mutiert in „Breaking Bad“ ja nur deshalb zum Drogenboss, weil er unheilbar an Krebs erkrankt ist und seine Lieben nach seinem Tod versorgt wissen will. Im deutschen Fernsehen bekommt der von Bryan Cranston gespielte Serienheld jetzt einen Nachahmer: Bastian Pastewka spielt in einer ZDF-Miniserie einen Familienvater aus Bad Nauheim in Hessen, dessen Druckerei kurz vor der Pleite steht und der deshalb zum Falschgeld-Produzenten wird. Die Serie „Morgen hör‘ ich auf“ soll nächstes Jahr im ZDF laufen.

Wettbewerb zum Thema Antihelden

Auch das deutsche Fernsehen hat also den Trend zum Schurken erkannt, die Akademie für Film- und Fernsehdramaturgie in München und die Produktionsfirma Bavaria Film haben vor kurzem sogar einen Ideenwettbewerb zum Thema Antihelden ausgeschrieben, an dem sich mehr als 250 Autoren beteiligt haben. Der erste Preis mit einer Fördersumme von 2500 Euro ging an das Autorenduo Axel Melzener und Alexander Frank, die sich eine Fernsehserie ausgedacht haben, die in der Frankfurter Bankenwelt spielt und vor zwielichtigen Figuren nur so wimmelt.

Auf dem zweiten Platz landete das Konzept für eine Serie, in deren Mittelpunkt eine Frau steht, die einen blutigen Rachefeldzug startet, und auf dem dritten die Idee für eine in Berlin spielende Serie, deren Hauptfiguren allesamt „Antihelden des Alltags“ sind, wie die Jury lobend erwähnte. Ob die ambitionierten Projekte irgendwann einmal ins Fernsehen kommen, steht freilich in den Sternen.

Doch worin besteht nun der eigentliche Reiz von kriminellen TV-Figuren? „Sie können ausagieren, was uns ganz oft verwehrt bleibt“, erklärt die Medienexpertin Kathi Gormász die Faszination von finsteren Gestalten wie Walter White, Tony Soprano, dem Serienkiller Dexter aus der gleichnamigen US-Serie oder dem skrupellosen Politiker Frank Underwood („House of Cards“). „Sie müssen keine Rücksicht darauf nehmen, was vielleicht der Gesetzgeber von uns will.“ Dabei, das haben Studien gezeigt, empfinden vor allem Männer häufig Sympathie für TV-Bösewichter. Das hängt der Zuschauerforschung zufolge vor allem damit zusammen, dass es den Schurken um die Durchsetzung von Macht geht, was typisch männlichen Denkmustern auch in der Realität eher entgegenkommt als weiblichen.

Ohne Grund keine Sympathie

Eine Einschränkung gilt allerdings auch hier: Durch und durch böse Figuren kommen bei Männern fast genauso schlecht weg wie bei Frauen. Wer abseits jeglicher Moral handelt und keinen triftigen Grund für sein Tun hat, darf kaum auf die Sympathie der Zuschauer hoffen.

Kathi Gormász: Walter White & Co– Die neuen Heldenfiguren in amerikanischen Fernsehserien. Verlag UVK, Konstanz. 264 Seiten, 39 Euro