Die Bundeswehr robbt sich mit einer Reality-Dokumentation auf Youtube an den Nachwuchs heran. „Die Rekruten“ sollen Lust auf die Truppe machen – zwölf Wochen lang. Sinnvolle Aufklärung oder Täuschungsmanöver? Eine Bilanz der ersten Woche.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Der Ton ist rau: „Wollen Sie wegfliegen?“, witzelt der Ausbilder über die Grundstellung eines Rekruten. „Machen Sie mal die Arme ein bisschen tiefer.“ So reden sie bei der Bundeswehr: bissig, ermahnend, oft in Dauerlautstärke wie Tröten auf zwei Beinen. Wer es schon erlebt hat, gehört allerdings nicht zur Zielgruppe der Reality-Dokumentation „Die Rekruten“. Vielmehr robbt sich die Bundeswehr mit der Webserie auf dem Videoportal Youtube an junge Erwachsene ran, um sie mit dem Gedanken anzufreunden, bei der Truppe einzusteigen.

 

„Habe ich schon offiziell geweckt? Ich glaub, mein Schwein pfeift. Ab! Hoch!“ – vom Aufstehen um 4.50 Uhr in der Früh bis zum abendlichen Stubendurchgang beinhaltet fast jeder Ausbildersatz eine neue Belehrung. Zwölf Wochen lang lassen zwölf Protagonisten zwischen 18 und 37 Jahren – zwei Frauen, zehn Männer – an ihrer Grundausbildung teilhaben. All dies in einer Ästhetik, wie man sie von Youtube, Instagram und Snapchat kennt. Die drei- bis siebenminütigen Clips bieten wilde Kameraschwenks und viele Schnitte, Soundeffekte und optische Gimmicks. Teils im Selfie-Modus gedreht, suggerieren sie Authenzität: Höhen und Tiefen aus erster Hand. Der Betrachter wird direkt angesprochen: Alles Anbiederei? Zumindest ein Beitrag, um gegen Mythen und Vorurteile vorzugehen.

„Der Bock ist ein Desaster“

Die ersten acht Tage sind rum. Am Dienstag mussten sich die Neulinge beim Basis-Fitness-Test beweisen. „Die Anforderungen sind sehr geschrumpft“, sagt ein Ausbilder. „Wer die nicht schafft, hat hier eigentlich nichts zu suchen.“ Marvin schleppt sich dem Kollaps nahe beim 1000-Meter-Lauf durchs Ziel, und auch Anna-Lena und Julia schwächeln. „Kämpfen Sie!“, mahnt der Prüfer. Doch zwei Sekunden Klimmzug sind zu wenig. Konsequenzen? Offenbar keine.

Am Tag zuvor stand bereits die Bordtauglichkeitsuntersuchung an. Die Matrosen müssen im Sani-Bereich mit geschlossenen Augen auf der Stelle treten. Wer sich dabei dreht, hat vielleicht einen Hirnschaden. Beim Lungenfunktionstest wird bis zum Umfallen gepustet. „Vor Drogentests habe ich da keine Angst“, versichert Jerome. Mit Recht: Er ist bordtauglich. Sebastian wiegt 106 Kilo, damit drei zu viel. Rasch abnehmen oder rausfliegen, lautet die Wahl – wie beim Dschungelcamp in der Tarnfleck-Version.

Zuvor war den Rekruten das Klarschiff-Machen der Stube, das Antreten auf dem Flur („kein Zucken, kein Wackeln, nicht im Gesicht fummeln, nirgendwo rumpulen“) sowie das Bestücken des Spinds vermittelt worden. Und der „Bockbau“, wie das Bettenmachen heißt. „Wir werden noch ein paar Tipps geben, aber allerspätestens ab der nächsten Woche wird scharf geschossen“, droht der Ausbilder. Die Tipps werden dann eingeleitet mit den Worten: „Der Bock ist ein Desaster.“ Er habe zu seiner Rekrutenzeit Stecknadeln ins Bett gesteckt, damit es nicht verrückt, kramt der Vorgesetzte im Erinnerungsfundus.

Die ganze Kaserne als Abenteuerparcours: Vieles ist nervig, aber Spaß macht es trotzdem – das ist der Tenor. Die Kommentare der Protagonisten schwanken von gespielter Verzweiflung bis anhaltend motiviert. „Ich glaube schon, dass wir das mit Teamgeist ordentlich hinbekommen“, sagt Julia. Genau dies soll vermittelt werden: Es geht nur kameradschaftlich. Ausbilder-Sprüche wie „Wenn das nicht klappt, ist gleich der erste Kopf ab – verstanden?“ beeindrucken nur in den ersten Tagen. Doch die harten Prüfungen wie Nachtmärsche kommen ja erst. Wie viel Realitätsnähe die Reality-Doku beinhaltet, muss sich daher noch zeigen. Den Protagonisten würden keine Texte vorgefertigt, versichert die Bundeswehr. Dennoch muss man von einer sorgfältigen Bearbeitung des Videomaterials ausgehen.

Die Konfrontation mit Leben und Tod steht noch aus

Drehort ist die Marinetechnikschule Parow (Mecklenburg-Vorpommern), aus naheliegenden Gründen: Ersten gibt es dort Drei-Mann-Vorzeigestuben mit wohnlichem Mobiliar und Flachbildfernseher – ein Komfort, der in vielen sanierungsbedürftigen Kasernen nicht zu finden ist. „Das große Erwachen erfolgt dann in der Stammeinheit“, lautet ein bissiger Kommentar in einem der Online-Foren, wo die Serie ausgiebig seziert wird. Zweitens pflegt die Marine einen gelasseneren Umgang miteinander als eine Jäger- oder Pioniereinheit. Was Ausbilder dort von sich geben, geht mitunter über die Grenzen des Akzeptablen weit hinaus. Und drittens hat die Marine offenkundig mehr Druck, Nachwuchs zu werben als Heer oder Luftwaffe.

Abschreckung ist da nicht vorgesehen, Kritisches wird nur am Rande erwähnt. So stellt sich das Rekrutendasein nicht für jeden als große Erfüllung heraus: Von insgesamt 86 Anfängern haben am Ende der ersten Woche schon sechs aufgegeben. „Ich dachte, dass ich charakterlich damit besser klar komme“, sagt einer der Aussteiger. Was er meint, bleibt offen. „Aufgeben könnt ihr bei der Post“, heißt einer dieser Ausbildersprüche – wenn es sie nicht gäbe, man müsste sie erfinden.

Die Gefechtsausbildung folgt später. Ob die jungen Soldaten dann laut darüber nachdenken, was es heißt, mit dem Tod im Einsatz konfrontiert zu werden? Und ob sie über das Schießen mit dem Gewehr reflektieren? Erfahrungsgemäß tut sich die Bundeswehr mit allzu viel Offenheit schwer. Eine Sprecherin der Bundeswehr rät zum Abwarten. „Es gibt kein Drehbuch.“

35 Millionen Euro im Jahr für die Nachwuchskampagne

Fünf Jahre nach dem Aussetzen der Wehrpflicht steht der Arbeitgeber Bundeswehr in harter Konkurrenz zur Privatwirtschaft. Also muss er investieren: Während die Produktion der Serie 1,7 Millionen Euro kostet, geht für die begleitende Werbung noch einmal 6,2 Millionen Euro drauf – dies wiederum als Teil einer Imagekampagne, für die in diesem Jahr 35 Millionen Euro veranschlagt sind. Mit der ersten Resonanz auf die Webserie zeigt sich die Bundeswehr hoch zufrieden – vor allem mit den gut 160 000 Abos auf dem Youtube-Kanal. Zudem wurde der Teaser fast 3,5 Millionen Mal angeklickt – die Clips ohne Teaser und Trailer wurden insgesamt 7,9 Millionen Mal angeschaut. An mehreren Tagen sei eines der Videos Nummer eins der Youtube-Hitliste gewesen, so die Sprecherin.

Ob damit tatsächlich mehr Nachwuchs geworben werden kann, dürfte sich frühestens in einem Jahr zeigen. Die eigentlichen Schwachstellen der Truppe bleiben ohnehin bestehen: Das händeringend gesuchtes Fachpersonal wird auf diese Weise sicher nicht zu finden sein – und das kaputte Gerät der Bundeswehr werden die künftigen Rekruten auch nicht reparieren können.