Die Herrschaften, die bei Dominique Manotti Rennen manipulieren, spielen auch sonst nach eigenen Regeln. Die Französin, eine Meisterin des Wirtschaftskrimis, erklärt, wie Pferd und Hase laufen.

Stuttgart - Die Menschen haben eine Wahl. Sie können Ja oder Nein sagen zum Kokain, das rund um die Stallungen, Rennbahnen und Tribünen des Pferdesports, pardon, der Pferdespekulationsszene angeboten wird. Die Pferde haben keine Wahl. Sie bekommen Drogen-, Aufbau- und Aufputschmittelchen – und vielleicht auch mal was zur strategischen Schwächung - gespritzt, damit die Rennergebnisse planbarer sind. In Dominique Manottis Roman „Zügellos“ kommt eine rasch sich ausweitende Polizeiermittlung in Gang, als eine Leiche auf der Rennbahn von Longchamp gefunden wird.

 

Aber dies ist eben nicht Manottis Variante eines Dick-Francis-Romans. Es geht nicht nur um Trainer, Züchter, Eigner, Jockeys, Veterinäre, Zocker und Pferde. Es geht ums große Ganze, und die Rennwelt ist nur ein kleiner Teil der wahren Geschäfte in der Republik unter François Mitterrand.

Kungeln mit Emporkömmlingen

Die 1942 geborene Dominique Manotti, die sowohl aktive Gewerkschafterin wie Dozentin für Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit war, zeigt in ihren Büchern, wie Wirtschaft, Politik, Verbrechen und Justiz funktionieren, wie sie aufeinander einwirken und Störfälle bearbeiten. In „Zügellos“ geht es um die Geschäfte eines Versicherungskonzerns ebenso wie um Drogenschmuggel, Edelzuhälterei und Immobilienspekulation, um Druck auf Polizisten, die Ermittlungen zu stoppen, und um die Versuche der Regierung Mitterrand, realpolitische Wirtschaftskompetenz zu beweisen, also ums Kungeln des Élysée-Palastes mit Emporkömmlingen und Strukturveteranen der schrankenlosen Gewinnerwirtschaftung.

Ja, es kommt zu Morden, Erpressungen, Brandstiftungen und zu etlichen anderen Delikten. Aber das sind einfach bei Bedarf eingesetzte Profitsicherungsmethoden, keine mit vorsätzlicher Brutalität ausgelebten Machterfahrungen. Wohl deshalb haben die Strippenzieher nicht das Gefühl, an so etwas wie gewöhnlicher Kriminalität teilzuhaben. Im Hintergrund machen sich Chancen ganz großen Ausmaßes bemerkbar: „Zügellos“, bereist 1997 entstanden, spielt im Jahr 1989. Die DDR steht kurz vor dem Kollaps, der Osten bröselt. Die ganz Pfiffigen bereiten sich darauf vor, als erstes die Konkursmasse des Sowjetstaates und seiner Satelliten für sich zu sichern.

Das Private der Haie

Es gibt in „Zügellos“ auch Persönliches von Wirtschaftshaien und Polizisten zu erfahren, aber es menschelt nicht. Das Private interessiert Manotti nur insofern, als es Einfluss auf das die Gemeinschaft beeinflussende Handeln der Figuren macht: sie aggressiver macht, ihnen Kenntnisse verschafft, sie Erpressungen aussetzt. Dementsprechend knapp, barsch, aufs Vorwärtskommen gerichtet ist der Stil. Manotti bleibt nicht bei den Leuten stehen, auch wenn sie von ihnen erzählt. Sie läuft neben dem Fluss des Geldes und der Macht her und schaut, wo er sich überall durchschlängelt, wo er Rädchen treibt und wo jemand hineinpinkelt.

Manchmal, ganz unvermittelt, schauen wir für einen Moment in den Kopf einer Figur. Dann steht da ohne Anführungszeichen zwischen auktorialen Beschreibungen und Dialogen ein Gedanke in Ich-Form. Manotti geht es nicht ums Psychologisieren oder ums Mitfühlenlassen, sondern um die knappe Vorlage eines Beweises. Hier: das und das ist jetzt gerade der Stand der Erkenntnis oder Planung, auf dieser Grundlage geht diese Figur die nächste Runde des Täuschungsspiels an.

Vorsicht, böser Blick

Mit anderen Worten: Leser auf der Suche nach netten Identifikationsfiguren oder dem nächsten vorläufigen Triumph über das Böse sollten Manottis Bücher weiträumig umfahren. Man bekommt hier eine Gemeinschaftskundelektion der informierten Art von einer Dozentin mit dem bösen Blick. „In Ordnung“, bilanziert eine Figur mal (S. 42), „halten Sie mich auf dem Laufenden“. Exakt das möchten wir Dominique Manotti auch sagen.

Dominique Manotti: „Zügellos“ (Originaltitel: À nos chevaux!). Roman. Aus dem Französischen von Andrea Stephani. Ariadne Krimi bei Argument, Hamburg. 286 Seiten, 18 Euro.