Haben Sie sich auch schon mal dabei erwischt, förmlich am Smartphone zu kleben und sich eine schlechte Nachricht nach der anderen durchzulesen? Dieses Verhalten hat jetzt einen Namen: Doomscrolling.

Digital Desk: Lukas Böhl (lbö)

Was ist Doomscrolling genau?

Doomscrolling ist eine Wortbildung aus den englischen Begriffen „doom“ (dt. Verderben) und dem eingedeutschten „scrollen“ (etwa den Bildschirminhalt verschieben). Wörtlich lässt sich der Begriff nur schwer ins Deutsche übersetzen, am ehesten würde es wohl „verdammnisblättern“ treffen. Sinngemäß beschreibt Doomscrolling (auch Doomsurfing genannt) aber eher das schier endlose Konsumieren von schlechten Nachrichten auf verschiedenen Medienkanälen. Angeblich soll der Begriff im Jahr 2018 zum ersten Mal auf Twitter gefallen sein, heißt es in der Definition im Merriam-Webster-Wörterbuch. Dieser Tage erlebt seine Verwendung im Kontext der Corona-Pandemie jedoch eine Hochphase.

 

Warum Doomscrollen wir überhaupt?

Bedrohliche, unüberschaubare oder neuartige Situationen können Angst und ein Gefühl von Überforderung in uns auslösen. Da wir der Ungewissheit oft nichts entgegenzusetzen haben, versuchen wir durch systematische Informationsbeschaffung Herr der Lage zu werden. Evolutionsgeschichtlich gesehen macht diese Taktik Sinn. Je mehr Informationen unsere Vorfahren über die Dinge hatten, die sie töten konnten, desto besser standen ihre Überlebenschancen.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Bei einer derart komplexen Situation wie der Corona-Pandemie, die keine einfachen Antworten zulässt und nicht in absehbarer Zeit vorbei sein wird, scheitert dieser Kontrollversuch. Selbstverständlich müssen und wollen wir uns informieren, um uns ein klares Bild der Realität zu verschaffen und unsere Gedanken besser einordnen zu können. Doch darüber hinaus erheben uns mehr und mehr Nachrichten zu Covid-19 nicht über die Pandemie, sondern ziehen uns nur weiter in einen negativen Emotionsstrudel.

Trifft der evolutionsbedingte Schutzmechanismus unserer Psyche dann auf die süchtigmachenden Eigenschaften und Funktionsweisen von Social Media, enden wir in einem Teufelskreis. Durch Infinite Scrolling bricht die Nachrichtenflut nie ab, während wir dem Algorithmus durch jeden Klick auf die Hiobsbotschaften signalisieren, wir wollen mehr. Ungeachtet der Auswirkungen auf unsere mentale Gesundheit spuckt er eine Schreckensmeldung nach der anderen aus, um uns möglichst lange auf der Plattform zu halten und zum Zurückkehren zu bewegen.

Wir glauben, in der nicht enden wollenden Informationsflut irgendwann den einen Artikel, das eine Video oder die eine Statusnachricht zu entdecken, die uns einen Schritt voranbringt, einen kleinen Vorsprung verschafft, mit dem wir besser vorbereitet sind als all die anderen. Dadurch setzen wir unseren Körper dauerhaft latentem Stress aus, umso mehr, wenn wir in Selbstisolation alleine vor dem Bildschirm sitzen und niemanden haben, mit dem wir in einer Konversation unsere Gedanken teilen und einordnen können. Das endlose Scrollen wird uns im wahrsten Sinn des Wortes zum Verhängnis.

Einen sehr anschaulichen Beweis für die Sinnlosigkeit des Doomsurfings liefert die Seite endlessdoomscroller.com von Ben Grosser, einem Professor an der School of Art der University of Illinois, Urbana-Champaign. Die Seite entzweit die reißerischen Schlagzeilen von ihren Inhalten und zeigt, wie repetitiv diese irgendwann sind. Egal, wie lange man nach unten scrollt, es hört nie auf. Die Überschriften dagegen scheinen sich mit der Zeit nur noch zu wiederholen. Man gewinnt also nicht an Wissen dazu, sondern wird zum stumpfen Konsumenten.


Was kann man gegen Doomscrolling unternehmen?

Wer glaubt, sich in einer negativen Nachrichtenspirale zu befinden, sollte sich im ersten Schritt über sein eigenes Verhalten bewusst werden. Weiter kann es helfen, sich die Frage zu stellen, wie man sich nach dem Doomsurfing fühlt: Hat diese Informationsflut mich vorangebracht und bestärkt oder nur verzweifelter und hoffnungsloser gemacht? In letzterem Fall kann die Beschränkung des täglichen Medienkonsums eine Lösung darstellen. Stecken Sie sich einen Zeitrahmen von 10 bis 20 Minuten, in dem Sie sich auf ausgewählten, seriösen Quellen über die Nachrichtenlage informieren. Fällt es Ihnen schwer, sich loszureißen, können Sie auf dem Smartphone Apps zur Beschränkung der Bildschirmzeit installieren.

Außerdem kann es helfen, nach dem Nachrichtenkonsum Aktivitäten einzuplanen, die einen Ausgleich schaffen. Das kann ein Gespräch mit einem Vertrauten sein, um die eigenen Emotionen zu rationalisieren, Zeit mit der Familie, ein Spaziergang im Wald oder auch eine digitale Entgiftung. Hauptsache, Sie schaffen einen Gegenpol zu den negativen Eindrücken. Damit nach dem Nachrichtenkonsum noch ausreichend Zeit bleibt, um etwas Distanz zum Gelesenen zu gewinnen, sollten Sie Ihr Zeitfenster nicht unmittelbar vor dem Zubettgehen einplanen. Denn eine gute Schlafhygiene ist wichtig für die körperliche und mentale Gesundheit und mit wachem Verstand fällt es leichter, nicht den Kopf zu verlieren.

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