Der Weltradsportverband tut so, als sei Lance Armstrong die Wurzel allen Doping-Übels. Dabei sieht sich der Verband um Präsident Pat McQuaid selbst massiven Vorwürfen von verschiedenen Seiten ausgesetzt.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Stuttgart - Der Tag danach ist nicht so gelaufen, wie sich das die Lobbyisten in Aigle erhofft haben. Gegenwind von allen Seiten. In Aigle, Schweiz, sitzt der Radsport-Weltverband UCI, und der hat am Montag bekanntermaßen seinem langjährigen Lieblingsfahrer Lance Armstrong nicht nur alle Tour-de-France-Siege wegen systematischem Dopings aberkannt, sondern dem US-Amerikaner auch noch ein paar verbale Salven hinterhergeschossen.

 

Als sei der Radsport allein von diesem zweifelsfreien Hochstapler verführt worden wie Fausts Gretel. Armstrong, der Mephisto, die Wurzel allen Übels – so klang manches zumindest. Pat McQuaid, der UCI-Präsident, hatte sich am Montag erst den Texaner vorgeknöpft und danach auch noch die Kronzeugen wie Tyler Hamilton beschimpft. „Sie sind von Helden so weit entfernt wie der Tag von der Nacht. Sie sind keine Helden, sie sind Drecksäcke.“

Jahrzehntealte Kultur des Betrügens

Es wirkte, als sei er beleidigt, dass sie ausgesagt hatten. McQuaid wollte mit seinem Auftritt einen Schlussstrich unter alles ziehen. Der Plan: Armstrong vergessen, Dopingskandale vergessen, jetzt bitte weitermachen. Dabei handelt es sich um ein altes System mit einer bis heute vorhandenen, jahrzehntealten Kultur des Betrügens. Am Tag darauf gab es vor allem eines: Rücktrittsforderungen in Richtung McQuaid und Kritik an der UCI, die in den Augen vieler ein Teil des Dopingproblems ist.

„McQuaids Kommentare entlarven die Heuchelei seiner Führung und zeigen, warum er nicht in der Lage ist, einen Wandel im Radsport herbeizuführen“, sagte Tyler Hamilton: „Anstatt die Möglichkeit beim Schopf zu packen, der nächsten Generation Hoffnung zu geben, zeigt er mit Fingern auf die, die die Dinge beim Namen nennen und beschimpft sie.“

Deutliche Worte kommen auch von dem Dopingkronzeugen Jörg Jaksche, für dessen detaillierte Aussagen sich die UCI nie wirklich interessierte: „Der Fisch stinkt vom Kopf.“ In den Chor stimmten auch weitere Profis wie der verurteile Dopingsünder und heutige Antidopingaktivist David Millar und der Präsident des luxemburgischen Radsportverbandes, Jean Regenwetter, ein. Letzterer fordert einen Reinigungsprozess innerhalb der UCI. Der Luxemburger nahm dabei auch den Bund Deutscher Radfahrer in die Pflicht: Der habe unter dem Präsidenten Rudolf Scharping die Gelegenheit zu konstruktiver Opposition an den „undurchsichtigen Machenschaften des Herrn McQuaid“ in UCI-Versammlungen versäumt. „Die Deutschen? Die sind doch nie da.“

Hat UCI-Chef McQuaid vertuscht?

Pat McQuaid wurde im September 2005 UCI-Präsident. Der Ire gilt als Ziehsohn seines Vorgängers Hein Verbruggen, der zuvor 14 Jahre lang den Weltverband führte. Verbruggen ist umstritten, und die Vorwürfe gegen ihn sind vielfältig. Auch in den Unterlagen der Ermittler im Fall Armstrong taucht Verbruggen immer wieder auf. Die UCI hielt jahrelang ihre schützende Hand über Armstrong – zumindest legen diesen Schluss die im Internet frei zugänglichen Unterlagen nahe.

McQuaid wurde neben anderem im Fall des positiv getesteten Alberto Contador vorgeworfen, dass er den Vorgang habe vertuschen wollen. In der Rolle des Exorzisten, der dem Radsport das Doping austreibt, sehen ihn viele als klassische Fehlbesetzung. Die niederländische Zeitung „De Telegraaf“ kommentiert: „Der Sünder wurde mit der Person Armstrong am höchsten Baum aufgehängt. Aber über das eigene Funktionieren überhaupt nur nachzudenken, das tat die UCI nicht.“

McQuaid schließt einen Rücktritt weiter aus. Auch vom Internationalen Olympische Komitee, in dem sowohl McQuaid als auch Verbruggen Mitglied sind, haben die Funktionäre und der Radsport nichts zu befürchten. Im Gegenteil, es gibt sogar Lob. Die UCI sei zwar oft in „hochkarätige Dopingfälle verwickelt, aber auch immer Vorkämpfer im Kampf gegen Doping gewesen“, so die IOC-Stellungnahme .

In Paris wird heute übrigens die Strecke der Tour 2013 vorgestellt, der 100. Frankreichrundfahrt. In diesem Umfeld wirkt das wie ein Festakt auf der Titanic.