Der spektakuläre Raubkunstfund kommt jetzt ins Museum. Auch wenn der behauptete Milliardenwert stark übertrieben war, hat die Entdeckung bedeutende Folgen gehabt, meint Amber Sayah.

Stuttgart - Was war das für eine Aufregung, als das „Focus“-Magazin am 3. November 2013 über diesen sensationellen Kunstfund berichtete! In der Münchner Wohnung des 79-jährigen Cornelius Gurlitt, Sohn des Avantgarde-Vorkämpfers, Museumsleiters und – im „Dritten Reich“ – NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, hatte die Augsburger Staatsanwaltschaft ein Konvolut von Werken beschlagnahmt, die von den Nationalsozialisten einst als „entartet“ konfisziert oder ihren jüdischen Besitzern geraubt worden seien. In Salzburg wurden später noch weitere Bilder entdeckt. In der Summe umfasste der sogenannte „Nazi-Schatz“ rund 1500 Werke – allererste Sahne und milliardenteuer, wie Gerüchte besagten. Die Diskussion um Nazi-Raubkunst kochte hoch, Deutschland stand mit roten Ohren im Fokus internationaler Missbilligung.

 

Provenienzen lassen sich nicht über Nacht klären

Eilends wurde eine Taskforce ins Leben gerufen, die im Auftrag Bayerns und der Kulturstaatsministerin die Provenienz, also die Herkunft der Gurlitt-Bestände klären sollte. Schon die Bezeichnung der Expertengruppe als „Taskforce“ sollte die Entschlossenheit signalisieren, mit der die Politik schleunigst für die Aufarbeitung der Vergangenheit sorgen wollte. Doch die Arbeit ging naturgemäß langsam voran, Provenienzen lassen sich meistens nicht über Nacht klären. 2016 übernahm das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg die weitere Erforschung des Gurlitt-Konvoluts. Als NS-Raubkunst konnten inzwischen sechs Werke definitiv zugeordnet werden, das jüngste erst dieser Tage: ein Gemälde des französischen Malers Thomas Couture, einst Eigentum eines jüdischen Politikers.

Ein Großteil der Werke sind grafische Arbeiten

Unterdessen war Cornelius Gurlitt gestorben. Zuvor hatte der zurückgezogen lebende alte Herr seinen Besitz dem Kunstmuseum Bern vermacht. Eben dort wird an diesem Donnerstag die Ausstellung „Entartete Kunst – Beschlagnahmt und verkauft“ eröffnet, gefolgt von der am Freitag startenden Komplementärschau „Bestandsaufnahme Gurlitt – Der NS-Kunstraub und die Folgen“ in der Bonner Bundeskunsthalle. Während die Schweizer den Nachlassteil mit gesicherter Herkunft präsentieren, stehen in Deutschland Werke mit noch ungeklärter Provenienz im Zentrum.

Erstmals erhält mit dieser Doppelschau die Öffentlichkeit Aufschluss, was nun dran ist am sagenumwobenen Gurlitt-Schatz. Nach den Sensationsmeldungen der ersten Tage steht mittlerweile aber schon fest, dass es sich bei einem Großteil der Werke um grafische Arbeiten handelt. Durchgedrungen ist ferner, dass Einiges zwar Museumsrang hat, der behauptete Milliardenwert freilich stark übertrieben war. Wie es aussieht, ist wohl auch der Anteil der NS-kontaminierten Arbeiten eher klein. Im Vordergrund steht daher die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Gurlitt-Nachlass als historische Quelle für eine hochbelastete Periode des Kunsthandels.

Die Gurlitt-Folge: komplette Sammlungen werden gesichtet

Zugleich weist der Fall Gurlitt über sich hinaus. „Die Ausstellung ist kein Resümee, sondern ein Startschuss“, sagte die Leiterin des Berner Kunstmuseums, Nina Zimmer, dem Kunstmagazin „Art“. Denn nicht nur Deutschland, auch die Schweiz war in der NS-Zeit ein Umschlagplatz für Raubkunst. Daher soll die Schweizer Perspektive verstärkt in den Blick rücken. Und nicht zuletzt dürfte der Gurlitt-Fund den Anstoß gegeben haben, die Provenienzforschung in den deutschen Museen zu systematisieren sowie neuerdings auch nach der Kunst in den ethnografischen Sammlungen zu fragen. Wie sind die Objekte aus fernen Ländern eigentlich in die Museen gelangt? Damit ist unter anderem das im Aufbau begriffene Berliner Humboldtforum konfrontiert. Andere Häuser wie das Stuttgarter Linden-Museum sind bereits dabei, ihre kompletten Sammlungen zu sichten – Risiko der Rückgabe an die rechtmäßigen Besitzer oder deren Erben inbegriffen.