Mit der Doppelfolge „Wendemanöver“ feiert der „Polizeiruf 110“ den 25. Jahrestag der Wiedervereinigung. Die Rostocker und Magdeburger Kommissare graben tief in der Geschichte.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Zum Einheitsjubiläum gräbt der „Polizeiruf 110“ tief in der deutsch-deutschen Geschichte, und weil es da viel zu buddeln gibt, reichen neunzig Minuten nicht aus. Das „Wendemanöver“ breitet sich auf eine Doppelfolge aus, die an diesem Sonntag sowie eine Woche später am 4. Oktober ausgestrahlt wird. Das ist noch nicht alles: Die Rostocker und die Magdeburger Ermittler schwärmen gemeinsam aus, um einen verzwickten Fall zu lösen: Wirtschaftskriminalität, Ost-West-Geschichte, Ermittler-Extravaganzen – in „Wendemanöver“ ist alles drin.

 

Die Doppelfolge ist beim „Polizeiruf“ ein Novum, genauso wie die Zusammenarbeit von zwei Kommissarenteams. Zweiteiler und gemischte Doppel gab’s beim „Tatort“ hingegen öfter; schon zwei Mal, 2000 und 2012, taten sich etwa die Leipziger mit den Kölnern zusammen. Erinnert sei aber auch an die Ost-West-Reihen-überschreitende Folge „Unter Brüdern“ 1990, in der Schimanski und Thanner (Götz George, Eberhard Feik) vom Duisburg-„Tatort“ auf ihre ostdeutschen „Polizeiruf“-Kollegen Fuchs und Grawe (Peter Borgelt, Andreas Schmidt-Schaller) trafen.

Die ARD scheint am verdoppelten Sonntagskrimi Geschmack gefunden zu haben, denn schon an den letzten beiden Novemberwochenenden wird Nick Tschillers (Til Schweiger) nächster Hamburger Fall auf zwei Teile ausgedehnt.

DER Event-Faktor soll gesteigert werden

Dass beim Sonntagskrimi, des Deutschen liebstes Fernsehritual, heftig experimentiert wird, ist nichts Neues. Die Teams sind im stetigen Wandel, mal werden extrem junge Ermittler an die Crime-Scene geschickt (Erfurt), dann nur Frauen (Dresden, ab 2016). Dann wieder werten Stars wie Til Schweiger oder Matthias Brandt die Krimireihen auf, auch wenn sie nur ein- oder zweimal im Jahr ihre Dienstmarke zeigen, oder einmalig, wie das etwa bei Heike Makatsch geplant ist, die derzeit in Freiburg als SWR-Ermittlerin Ellen Berlinger vor der Kamera steht. All diese Variationen sollen den TV-Oldtimern „Tatort“ und „Polizeiruf“ neue Strahlkraft geben und den Event-Faktor steigern.

„Wendemanöver“ ist komplex; laut Eoin Moore, mit bisher fünf verantworteten Folgen eine Art Hausregisseur der Rostocker, habe man vier Whiteboards gebraucht, um sich die ganzen Verflechtungen bei den Dreharbeiten zu vergegenwärtigen. Das ist nicht ungefährlich, schließlich hat der Zuschauer normalerweise keine Whiteboards auf dem Sofa zur Hand, deshalb ist 180 Minuten lang volle Konzentration gefragt.

Alles beginnt damit, dass quasi zeitgleich an verschiedenen Orten zwei Menschen getötet werden: in Rostock wird ein Wirtschaftsprüfer in einem Hotel erschossen; in Magdeburg kommt bei einem Brandanschlag auf eine Firma die Frau des Juniorchefs ums Leben. Die Ermittler finden schnell heraus, dass beide Opfer kurz vor ihrem Tod miteinander telefoniert und ein Verhältnis hatten. „Is’ ja krass“, sagt Katrin König (Anneke Kim Sarnau), als sie zum ersten Mal die Kollegin Brasch aus Magdeburg an der Strippe hat.

Rüde Rostocker, nachdenkliche Magdeburger

Das ist allerdings erst nach gut vierzig Minuten der Fall; bis die Rostocker zum ersten mal auf dem Magdeburger Revier einlaufen, ist man gar in der 71. Minute angelangt. Moore, der auch als Ko-Autor das Drehbuch mitverantwortet, bringt die unterschiedlichen Mentalitäten der Teams – die rüden, aufgepeitschten Rostocker hier, die wortkargen, nachdenklichen Magdeburger da – gut in Einklang. So gut, dass, so viel sei verraten, Brasch am Ende mit dem Polizistenstenz Pöschel (Andreas Guenther) ganz innig wird.

Andererseits treffen Bukow (Charly Hübner) und Drexler (Sylvester Groth), die von den Temperamenten her wie Feuer und Eis sind, erst am Schluss aufeinander. Denn Bukow, der Probleme magnetisch anzieht, ermittelt die meiste Zeit auf eigene Faust, nachdem er wegen rüpelhaften Benehmens bei der Polizeipsychologin vom Dienst suspendiert wurde.

Die mühsame, kleinteilige Puzzelei der Polizeiarbeit bestimmt weite Teile der ersten Folge; es dauert lange, den Zuschauer einigermaßen dramaturgisch dynamisch über die Basics zu informieren, Moore schneidet hierfür schnell von Magdeburg nach Rostock und wieder zurück. Der Stoff speist sich aus der kurzen Zeitspanne nach dem 1. Juli 1990, als 45 000 DDR-Betriebe der Treuhandanstalt unterstellt wurden – diese Unübersichtlichkeit wussten kriminelle Unternehmer hüben und drüben profitträchtig zu nutzen. Das historische Stichwort lautet: Transferrubelbetrug.

Schmetterlinge im Bauch bei Verhör

Reizvoll ist dieses „Polizeiruf“-Doppel aber gar nicht so sehr durch die perfiden Ost-West-Seilschaften, denen die Ermittler durch Aktenstudium, Kombinationsgabe, und, im Falle von Drexler, Berufserfahrung auf die Spur kommen. Und es sind auch nicht die zerrütteten Verhältnisse in den kriminellen Unternehmer-Familien. Vielmehr sind es die locker bis aberwitzig in den Plot hineingeschobenen Ermittlerauftritte, bei denen man neue Seiten an den sich horizontal entwickelnden Figuren entdecken kann. Sehr charmant, wie die ruppige Rostockerin König beim Verhör eines Verdächtigen sichtbar Schmetterlinge im Bauch bekommt – von Kim Sarnau entwaffnend gespielt.

Noch größer aber die Überraschung, die Jochen Drexler, der unterkühlte Beamten-Pedant, bereithält: eine zärtlich-poetische Liebesszene. Damit gelingt es Sylvester Groth, der ja mit „Wendemanöver“ aus dem „Polizeiruf“ aussteigt, sich mit Aplomb zu verabschieden.

Solche Fernsehperlen helfen darüber hinweg, dass der Regisseur Foin Moore sein eigentliches Thema, nämlich das „Erben historischer Schuld“ von Generation zu Generation, aus den Augen verliert. Dass der Plot gegen Ende der zweiten Folge schlicht zu viele abgedroschene Volten schlägt, mag man ihm hingegen nicht verzeihen. Sei’s drum, sehenswert ist diese Doppelfolge allemal. Und mit einem netten Gag am Schluss schlagen die Ostler dann doch noch den Bogen zum „Tatort“-Bruder im Westen. Schöne Geste!