Der FC Bayern stellt offiziell die meisten deutschen Nationalspieler im Kader für die WM 2018 in Russland. Bei genauerem Hinschauen wird aber auch deutlich, dass der Einfluss des VfB Stuttgart groß ist.

Sport: Marco Seliger (sem)

Eppan - Bevor das eigentliche Training losgeht, bevor alle Hütchen aufgestellt sind und der Trainer seine Jungs vor der Einheit zur Ansprache bittet, bleibt für Fußballer meist ein paar Minuten Zeit für entspannte Spielchen. Fünf gegen zwei, Bälle hochhalten mal mit zwei Kontakten, mal mit einem – der klassische Aufgalopp eben. Im Trainingslager der Nationalelf in Eppan ist das nicht anders, und so bildete sich auf dem Platz des FC Südtirol kürzlich ganz spontan eine Gruppe, die offensichtlich großen Spaß hatte. Mario Gomez, Timo Werner und Sebastian Rudy hielten die Kugel hoch, sie brüllten und lachten vor entspannter Schadenfreude, wenn einem Kollegen der Ball auf den Boden fiel. Ein gewisser Thomas Schneider beobachtete das Treiben, klopfte sich auf die Schenkel – und mischte dann sofort selbst mit.

 

Damit war der Stuttgarter Block im Nationalteam aber noch lange nicht komplett.

Ein paar Meter entfernt stellte Co-Trainer Marcus Sorg die letzten Hütchen auf, während Joachim Löw kurz vor dem Training ein Einzelgespräch führte: mit Antonio Rüdiger. Joshua Kimmich und Sami Khedira wiederum brachten den anderen bei, wie man auf Schwäbisch den Ball hochhält. Und womöglich flucht, wenn man das mal nicht schafft: Es war nicht genau zu hören, aber vielleicht fiel ja tatsächlich mal dieser Satz: „Heilix blechle, etz isch die Kugel scho wieder onda.“

Mario Gomez ist der einzige aktuelle VfB-Spieler im Kader

Der VfB Deutschland also mischt ordentlich mit vor der Weltmeisterschaft – aber er ist im Kreis des Weltmeisters nicht nur dabei. Sondern mittendrin. Drei Mitglieder des Trainerstabs, also Löw und seine Assistenten Sorg und Schneider, haben eine Stuttgarter Vergangenheit. Als Bundesliga-Trainer (Löw). Oder, wie im Falle von Thomas Schneider, sogar als Jugendspieler, Bundesligaprofi, Jugendtrainer und Bundesligacoach des VfB Stuttgart. Oder wie bei Marcus Sorg, dem späteren Trainer der Stuttgarter Kickers, zumindest als junger Vertragsamateur beim VfB.

Dazu gibt es in Werner, Khedira, Kimmich und Rudy vier ehemalige Profis des VfB, die auch in der Jugend des Clubs ausgebildet wurden, dazu in Antonio Rüdiger einen Stuttgarter Ex-Profi – und in Angreifer Mario Gomez den einzigen Spieler des VfB im deutschen WM-Kader, der wiederum auch an der Mercedesstraße das Fußballspielen lernte.

Die Nationalelf also steht, wenn man so will, im Zeichen des berühmten roten Brustrings. Und bald macht sich der Tross des DFB Schwabylon auf zur WM, wo die Mission Titelverteidigung ansteht. Dass dabei so viele Protagonisten mit Stuttgarter Vergangenheit eine Hauptrolle einnehmen, ist kein Zufall. Im Gegenteil.

Joachim Löw trainierte den VfB von 1996 bis 1998, er hatte nicht nur großen Erfolg, unter anderem mit dem Gewinn des DFB-Pokals 1997, sondern ließ auch einen attraktiven Offensivfußball spielen. Das hat sich grundsätzlich bei der Nationalelf nicht geändert – dort also, wo Thomas Schneider, einst beim VfB Spieler unter Löw, seit dreieinhalb Jahren dessen Assistent ist. Man versteht sich auf der Trainerebene. Und lässt schwäbisch spielen. Dazu passte es ins Bild, dass der gebürtige Ulmer Marcus Sorg, Löws zweiter Assistent, einst von 1987 bis 1993 für die Amateure des VfB kickte– und damit als junger Spieler mit Anfang 20 die erfolgreiche Jugendarbeit miterlebte.

Ralf Rangnick hat viele Trainer geprägt

Eine tragende Rolle beim VfB spielte dabei schon damals die Trainerschule von Helmut Groß, dem Fußball-Revolutionär aus Geislingen, der später eine ganze Generation von Trainern prägte, allen voran Ralf Rangnick, aber auch Thomas Tuchel oder Alexander Zorniger hat er inspiriert. „Wir stürmen immer“, sagt Groß über sein Konzept der ballorientierten Raumdeckung, das er vor mehr als 30 Jahren in Württemberg einführte.

Ralf Rangnick vermittelte all das in der Jugend des VfB und hinterließ seine Spuren bei Spielern und bei Trainerkollegen. Bei jungen Coaches wie etwa Thomas Tuchel, der Rangnicks und Groß’ Denkweise schon frühzeitig ebenfalls in der VfB-Jugend anwandte und nachjustierte. Moderner, attraktiver Offensivfußball, dazu Raumdeckung in der Defensive – so spielte die Jugend des VfB.

Und so übernahmen und verfeinerten etliche Trainer diesen Grundstein. Noch in diesem Jahrzehnt etwa trainierte Thomas Schneider in der U 17 des Vereins einen gewissen Timo Werner. Heute stehen die beiden auf dem Platz der Nationalelf und halten vor dem Training zusammen den Ball hoch. Werner als Stürmer Nummer eins. Und Schneider als Assistent Nummer eins. Eine Geschichte, fast wie im Film.

Die Fußballschule des VfB prägte all jene Jungs mit Stuttgarter Vergangenheit, die nun mit zur WM nach Russland reisen werden. „Wir alle“, sagt Sami Khedira dazu stellvertretend, „haben entscheidend von dieser Ausbildung profitiert, und wir tun es bis heute.“

Ex-VfB-Spieler profitieren von individueller Förderung

Unter der Leitung von Thomas Albeck und Frieder Schrof war die Jugend des VfB über Jahre führend in Deutschland – aufgrund der taktischen Konzepte, aber auch aufgrund der individuellen Förderung. Auf jeden Spieler wurde einzeln eingegangen. Timo Werner etwa hatte seinen linken Fuß zunächst nur zum Stehen. Dann durfte er in Trainingsspielen eine Zeit lang nur mit links schießen und passen. Schoss er mit rechts, war das ein Foul.

Heute ist Werner mit links fast so stark wie mit rechts und soll Deutschland so zum WM-Titel schießen. Das wäre dann so etwas wie die perfekte Stuttgarter Schlusspointe dieses Fußballsommers – und spätestens dann ist es zumindest nicht mehr ausgeschlossen, dass besonders findige Trikotproduzenten mit der Produktion eines ganz speziellen Shirts beginnen, das Joachim Löw schon mal selbst ins Spiel brachte. Als all die Jungs mit Stuttgarter Vergangenheit im vergangenen September zum Länderspiel gegen Norwegen in der Mercedes-Benz-Arena heimkehrten, sagte der Bundestrainer unserer Zeitung, dass „wir beim Spiel vielleicht Trikots mit einem roten Brustring unter dem Bundesadler tragen sollten“. Das imaginäre Shirt hat nun, knapp eine Woche vor Beginn der WM, nichts an Attraktivität eingebüßt.