Für den Prozess um den Mord an einer Studentin hat eine Gutachterin einen Eckzahn analysiert. Mit weitreichenden Folgen für den mutmaßlichen Täter.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Freiburg - Es ist nur ein Eckzahn, doch im Prozess um den Sexualmord an der Freiburger Studentin Maria L. an der Dreisam könnte dem Asservat mit der Nummer 14.2.2.25.48 eine entscheidende Bedeutung zukommen. Nach der Festnahme von Hussein K. fand die Polizei den Zahn im Zimmer des mutmaßlichen Täters. Offiziell ist dieser noch 17, doch die Staatsanwaltschaft ist sich sicher, dass der afghanische Flüchtling bereits zur Tatzeit älter als 21 Jahre alt war. Dann würde ihn die volle Härte des Erwachsenenstrafrechts treffen. Der Zahn soll das beweisen.

 

Die bundesweite Expertin auf diesem Gebiet lehrt ausgerechnet an der Freiburger Universität. Ursula Wittwer-Backofen ist Professorin am Universitätsklinikum und hat bereits im Jahr 2004 mit einer Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut in Rostock nachgewiesen, dass die Zahnzementanalyse, die bis dahin zur Altersbestimmung von Wildtieren eingesetzt wurde, auch beim Menschen gute Ergebnisse liefert. Tausende Zähne hat sie in den vergangenen Jahren bereits untersucht – allerdings ging es dabei meist um archäologische Funde. In Strafprozesse musste sie ihr Wissen bisher nur selten einbringen.

Neuartige Untersuchungsmethode

Die Methode macht sich eine Laune der Natur zunutze: Demnach lagern sich an den Zahnwurzeln winzige Zementbänder ab, für jedes Jahr ein dunkles und ein helles Band. Offenbar spielten der Biorhythmus, das Tageslicht und die Ernährungsrhythmik bei der Entstehung eine Rolle. Krankheiten und Schwangerschaften ließen sich daran ablesen, niemals aber falle ein Band aus, sagte Wittwer-Backofen. „Das ist wie bei den Jahresringen von Bäumen.“

Sichtbar werden die Zahnzementbänder aber erst unter dem Mikroskop. Selbst bei einem alten Menschen erreichen sie zusammen allenfalls die Dicke einer Telefonbuchseite. Trotzdem können sie ausgezählt werden. Bei dem Zahn des Angeklagten kam ihr Institut auf 13 bis 17 Bänder. Dazu müsse das Zahndurchbruchsalter addiert werden, was bei dem entsprechenden Eckzahn bei etwa 11,8 Jahren liege. Daraus errechnete Wittwer-Backofen ihr Ergebnis. Berücksichtige man die üblichen Abweichungen, dürfte sich das Alter des Angeklagten mit einer Sicherheit von 99,7 Prozent zwischen 22,05 und 29,55 Jahren bewegen – und zwar zum Zeitpunkt des Verlusts des Zahns. Der war ihm im Februar 2016, also acht Monate vor der Tat, von einem Freiburger Zahnarzt gezogen worden. Der Eckzahn hatte keinen Platz gehabt und in zweiter Reihe gestanden.

Auch die Pflegeeltern zweifelten an den Angaben

Für die Bemühungen der Staatsanwaltschaft, das richtige Alter des Angeklagten herauszufinden, ist der Fund des gezogenen Zahns ein Glücksfall. Denn zur Altersanalyse Zähne zu ziehen ist den Ermittlungsbehörden ohne Einverständnis des Beschuldigten verboten. Weitere Methoden zur Altersbestimmung sind mehr oder weniger ungenau und umstritten.

Die Mitarbeiter des Jugendamtes hatten deshalb an den Angaben von Hussein K. nicht gezweifelt. Der hatte bei seiner Einreise im November 2015 erklärt, 16 Jahre alt zu sein. Sie schöpften auch keinen Verdacht, als der junge Mann als Geburtstag ausgerechnet seinen Einreisetag nannte. Man habe sich mit Hussein K. ausführlich unterhalten. „Für uns schienen die Angaben plausibel“, hatte der zuständige Jugendamtsmitarbeiter vor Gericht erklärt. Die spätere Pflegemutter räumte vor Gericht ein, dass sie ihren Schützling für etwas, allerdings nicht viel älter gehalten habe. Hussein K. hatte zu Prozessbeginn ebenfalls zugegeben, bei seiner Einreise ein falsches Alter angegeben zu haben. Wie alt er wirklich ist, sagte er nicht. Gegenüber seinen Freunden soll er unterschiedliche Angaben gemacht haben. Mal sagte er, er sei 18, mal 19, einmal sogar 27. „In unserem Kulturkreis macht man sich manchmal auch sich älter, um respektiert zu werden“, sagte ein Bekannter im Zeugenstand.

Hussein K. droht nun auch die Sicherheitsverwahrung

Für die Strafzumessung besitzt dies entscheidende Bedeutung. War Hussein K. zur Haftzeit noch keine 21 Jahre alt, muss das Gericht entscheiden, ob es noch Jugendstrafrecht anwendet. In dem Fall liegt die Höchststrafe bei zehn, in besonders schweren Fällen bei 15 Jahren Jugendhaft. Bei Erwachsenenstrafrecht kommt hingegen eine lebenslange Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung in Betracht. Vor dem Sexualmord an der Dreisam hatte Hussein K. auf Korfu bereits eine griechische Studentin angegriffen und eine Steilküste hinunter gestoßen. Sie überlebte schwer verletzt. Hussein K. wurde zu zehn Jahren Jugendgefängnis verurteilt. Allerdings kam er durch eine Amnestie wieder frei.