Das historische, 333 Jahre alte Münchinger Rathaus muss saniert werden, weil im Dachstuhl giftige Wirkstoffe eines Holzschutzmittels austreten. Das hat auch Folgen für das dort untergebrachte Stadtarchiv.

Korntal-Münchingen - Im Münchinger Rathaus rücken bald die Handwerker an – schon wieder: Nachdem bei der rund 1,4 Millionen Euro teuren Sanierung zwischen Oktober 2018 und Mai 2019 Brandschutz und Technik auf den neuesten Stand gebracht wurden, ist jetzt der Dachstuhl dran. Er ist verseucht, weshalb er rasch dekontaminiert werden muss. Dazu kommt der Teil des Stadtarchivs, der dort oben untergebracht ist, für zunächst drei Jahre in einem Interimsgebäude unter. Das alles kostet insgesamt gut 240.000 Euro plus jährlich 30.000 Euro Miete.

 

Hintergrund der Verseuchung ist ein Holzschutzmittel, mit dem 1957 die Dachkonstruktion behandelt wurde. Was man früher häufig einsetzte, gilt mittlerweile als gesundheitsgefährdend weil krebserregend: Jene Holzschutzmittel enthalten giftiges Lindan und PCP. Diese Wirkstoffe sind heute verboten. Sie treten in feinsten Teilchen aus dem Holz aus und haften dann zum Beispiel an Staub.

Von der Existenz des alten Holzschutzgiftes erfuhr die Stadtverwaltung erst bei der besagten letzten Sanierung. Es gab eine Begehung durch einen Gutachter, denn auch die Fassade des 1687 erbauten Fachwerks hat Sanierungsbedarf. Dabei offenbarten sich nicht nur Schäden an der Dachkonstruktion und Dacheindeckung. Messungen hätten ergeben, dass die dicke Staubschicht auf der gesamten Dachbühnenfläche und den Aktenbeständen des Archivs eine hohe Konzentration an Lindan und PCP aufweise, ebenso die Holzproben, sagt der Leiter des Fachbereichs Hoch- und Tiefbau, Alexander Bagnewski. „Die Bestände des Archivs müssen nun gesäubert und ausgeräumt werden. Die Dachbühne darf nicht mehr als Lager und Arbeitsbereich genutzt werden.“ Das restliche Rathaus indes sei sicher.

Stadtarchivar: „Das Papier zeigt sich vom Gift unbeeindruckt“

Auf dem Dachboden lagern insgesamt 630 laufende Meter Regalfläche an Akten. Ein Teil werde vor dem Umzug vernichtet, sagt der Stadtarchivar Alexander Brunotte. Er betritt den Dachstock nur noch mit Schutzmaske. Unterm Dach lagert neben Museumsgut und wertvollen Dokumenten wie alte Gaststättenakten die sogenannte Altregistratur: Alle Akten der Verwaltung, die aus dem laufenden Betrieb ausgeschieden sind, aber vielleicht noch von Bedeutung sein könnten. Darunter sind auch Unterlagen mit einer Aufbewahrungsfrist wie die aus der Bußgeldstelle. Schäden gibt es an den Beständen keine. „Das Papier zeigt sich vom Gift unbeeindruckt“, sagt Alexander Brunotte. Lediglich habe man bei der jahrzehntealten Dokumentation erhöhte Werte festgestellt. Das Büro des Historikers und weitere Archivbestände wie die ältesten Überlieferungen von Korntal und Münchingen befinden sich im zweiten Obergeschoss.

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Im Herbst legt eine Fachfirma mit der Dekontamination des Dachstuhls los. Die kalte Jahreszeit eigne sich gut, weil die Arbeiter Atemmasken und Vollschutzanzüge tragen werden, sagt der Bauchef Bagnewski. Nach dem großen Entstauben zieht das Archiv um.

Nach der Sanierung ist vor der Sanierung

Ein neues Zuhause ist schon gefunden. Ob es tatsächlich die von der Stadtverwaltung bevorzugte 230 Quadratmeter große Büroeinheit in der Kornwestheimer Straße in Münchingen ist, darüber schweigt Bagnewski noch. Auf dem Mietvertrag, der von September an laufen soll, fehlten noch die Unterschriften. Bagnewski hofft, dass nächstes Jahr die Sanierung der Fassade, der Dachkonstruktion und Dacheindeckung für rund eine Million Euro folgt. Die erwarteten Zuschüsse des Landes würden die Kosten für die Stadt halbieren.

Wegen der unsicheren Finanzlage durch die Corona-Krise hatte der Gemeinderat die Sanierung des Rathauses mit einem Sperrvermerk versehen. Den hob er nun für die Dekontamination auf. Zugleich suchte das Gremium Sparoptionen. Für Joachim Winter (CDU) und Peter Ott (FDP) ist dabei die Digitalisierung relevant: Möglichst viel zu digitalisieren, das reduziere den Bedarf an Lagerflächen. „Das ist eine einmalige Sache“, sagte Ott, der den Umzug als den zweiten Schritt vor dem ersten kritisierte. Laut dem Ersten Beigeordneten der Stadt, Alexander Noak, werde die Verwaltung Ende des Jahres einen Vertrag für eine Speicherplattform besiegeln. Mit der Fachfirma, die entstaubt, wird der Archivar Brunotte prüfen, was digitalisiert werden kann.

Archiv wächst und wächst

Paul Blank (Freie Wähler) beantragte zu prüfen, ob der Dachboden nach der Dekontamination wieder nutzbar gemacht werden kann. Die Verwaltung versprach eine Untersuchung, wenngleich sie sich pessimistisch zeigte, das Gift komplett aus den Balken herauszubekommen.

Die Bestände des Archivs von Korntal und Münchingen sind seit 1979 zusammengefasst im Münchinger Rathaus. Korntals Archiv war bis zur Fusion der zwei Orte im dortigen Rathaus. 1990 wurde der Platz für das Gedächtnis der Stadt erweitert, da es aus allen Nähten platzte. „Ein Archiv ist nie abgeschlossen“, sagt der Archivar Brunotte, es wachse ständig.