Noch geben SPD, Grüne und FDP Positionen zu Atomkraft, Schuldenbremse und Tempolimit nicht auf – doch es gibt Lockerungsübungen.

Nach 6 Uhr am Donnerstagmorgen könnte die deutsche Politik klarer sehen. Für diesen Zeitpunkt ist der Bundesnetzagentur zufolge das Ende der Wartungsarbeiten an der Pipeline Nord Stream I angekündigt. Ob in den Stunden, Tagen, Wochen und Monaten danach Gas aus Russland fließt oder nicht, entscheidet darüber, welche Krisenmaßnahmen nötig sind.

 

Vieles hat die Bundesregierung für den Ernstfall eines vollständigen Gasstopps bereits auf den Weg gebracht. „Wir bereiten uns auf alle Szenarien vor“, sagt die Grünen-Politikerin Franziska Brantner, parlamentarische Staatssekretärin von Wirtschaftsminister Robert Habeck: „Aber natürlich tun wir alles, damit die Versorgungssicherheit gewährleistet ist“. So wurde viel Geld bereitgestellt, 15 Milliarden Euro, um die Speicher zu füllen. Aktuell liegt man bei knapp zwei Dritteln – um gut über den Winter zu kommen, müssen es aber mindestens 90 Prozent sein. Falls das nicht klappt, soll Flüssiggas nicht nur über Belgien und die Niederlande eingeführt werden, sondern auch direkt. Vier schwimmende LNG-Terminals hat der Bund dafür gemietet. Zwei Schiffe sollen Brantner zufolge bereits um den Jahreswechsel in Wilhelmshaven und Brunsbüttel eingesetzt werden können.

Die Vorbereitungen laufen auch auf der Schiene

Erst Anfang des Monats hat der Bundestag beschlossen, Kohlekraftwerke aus der Reserve zu nehmen und weniger Gas zu verstromen. Das wiederum hat Konsequenzen für den Verkehrsbereich, die sich nicht sofort erschließen. „Wir müssen auch bei niedrigen Pegelständen für die Schifffahrt sicherstellen, dass Öl- und Kohlekraftwerke ausreichend Nachschub erhalten“, berichtet Michael Theurer (FDP), Parteifreund und Staatssekretär von Bundesverkehrsminister Volker Wissing: „Daher arbeiten wir in der Bundesregierung daran, dass entsprechende Güterzüge Vorrang im Netz erhalten.“

Weil all das am Ende nicht reichen könnte, um Abschaltungen zu verhindern, streitet die Ampel seit Wochen über weitergehende Maßnahmen, die ihrem Koalitionsvertrag widersprechen. Um größere soziale Entlastungen zu finanzieren, die nötig werden könnten, rüttelt die SPD an der Festlegung, nächstes Jahr wieder die Schuldenbremse einzuhalten – worauf die FDP bisher beharrt. Die wiederum will die Laufzeiten der verbliebenen Atomkraftwerke über das Jahresende hinaus verlängern, bisher ein Tabu für Grüne und Teile der Sozialdemokratie. Dafür bringen diese wieder das Tempolimit auf, das im Koalitionsvertrag auf Betreiben der Liberalen noch ausgeschlossen worden war.

In dieser Woche nun sind – wohl mit Blick auf den Donnerstag – erste Lockerungsübungen auszumachen. Das Wirtschaftsministerium, das auf Basis einer Untersuchung im Frühjahr lange den Standpunkt vertrat, es drohe, wenn überhaupt, nur eine gasbedingte Wärme-, nicht aber eine Elektrizitätskrise, kündigte am Sonntag „einen zweiten Stresstest Strom“ an. Auch weil Gas nicht mehr so leicht verstromt werden darf, könnte auch hier ein Defizit prognostiziert werden. „Habeck muss jetzt prüfen, ob er diese Lücke ohne Kernkraftwerke geschlossen bekommt“, sagt die FDP-Abgeordnete Judith Skudelny, die im Ausschuss für Umwelt und Reaktorsicherheit sitzt und „die Überbrückung durch Kernenergie mitdenken“ will.

Grüne sehen sich vor „schwerwiegenden Entscheidungen“

Freude löst das unter Umweltfachleuten von SPD und Grünen nicht aus. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch fordert „wirkliche Lösungen“, etwa durch eine Entkopplung des Strompreises von den hohen Gaskosten. „Am Ende des Tages kann es schon sein, dass die Dinger ein paar Monate länger laufen“, hieß es zu den AKW aus anderen Teilen der Grünen-Fraktion: „Sollte sich die Situation ab Donnerstag noch weiter zuspitzen, werden wir schwerwiegende Entscheidungen treffen müssen.“

Eine befristete Verlängerung der Kernkraft könnte dann für die FDP Auslöser sein, krisenbedingt Positionen zu räumen. Zwar hält Theurer ein Tempolimit für „ein Symbolthema“, weil „wir aktuell vor allem Strom und Gas brauchen“. Zugleich deutet er aber an, was er für ein Umdenken von den Koalitionspartnern bräuchte: „Solange Fracking und Kernkraft nicht genutzt werden, gibt es keinerlei Anlass den Koalitionsvertrag an dieser Stelle zu überdenken.“

Überhaupt werde die FDP im Ernstfall „ihrer staatspolitischen Verantwortung gerecht werden und im Kabinett sehr pragmatisch an der Entscheidung mitwirken, welche Maßnahmen dann notwendig und sinnvoll sind“. Das könnte dann auch für eine weitere Aussetzung der Schuldenbremse gelten, falls teure Stützungsprogramme für Unternehmen und Privathaushalte nötig würden. Sie hoffe, dass es dazu nicht komme, so Skudelny, es gehe ja auch um finanzielle Nachhaltigkeit: „Trotzdem kennen wir unsere Verantwortung als Regierungspartei.“