Nach langjährigem Rückgang und Stagnation der Zuschauerzahlen geht die Tourenwagen-Rennserie in die Offensive und macht sich für den Motorsport-Nachwuchs attraktiv.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Hockenheim - „Fürs Wetter bin ich zuständig“, sagt Walter Mertes und lacht. Als Kölner fühlt er sich für die schönen Dinge im Leben verantwortlich. Sonnenschein beim Auftakt der deutschen Tourenwagen-Masters-Serie (DTM), mehr als 75 000 Menschen verfolgten von Freitag bis Sonntag den Aufgalopp von Audi, BMW und Mercedes – nicht nur Mertes, im Vorstand von Vermarkter ITR fürs Sponsoring zuständig, strahlt bei so viel Andrang. Gute Nachrichten sind für die Serie so nötig wie Benzin für die Achtzylinder, da seit geraumer Zeit die Zahnrädchen im DTM-Getriebe öfter knirschen – die Fanzahlen an den Strecken (70 000 pro dreitägigem Rennevent) wie vor den Fernsehgeräten (1,1 Millionen Live-Seher) stagnieren nach jahrelangem Sinkflug, das Rennspektakel war oft nur für eingefleischte Fans wirklich überschaubar und zwischen den Herstellern kam es immer wieder zu kleinen Reibereien.

 

78 500 Zuschauer haben laut Veranstalter an drei Tagen DTM-Flair zwischen A6 und Hockenheimer Hardtwald inhaliert, wobei die üppigen Zahlen von argwöhnischen Beobachtern gerne in Zweifel gezogen werden. Das gute Wetter hat sicher Kurzentschlossene mobilisiert und so für ein Plus von 4,7 Prozent im Vergleich zum Auftakt 2015 gesorgt. Wunderbar, doch Mertes und DTM-Marketingchef Heiko Frasch setzen nicht auf günstige meteorologische Luftströme, wenn sie sinnieren, wie die DTM noch attraktiver verpackt werden könnte. Da haben sie es vor allem auf den Nachwuchs abgesehen. „Die jungen Leute haben ein anderes Sehverhalten“, betont Mertes, der dies bei seiner 18-jährigen Tochter registriert hat, „dem müssen wir gerecht werden.“

Video-Views bei Facebook legen um 482 Prozent zu

Also füttert die DTM die Youngster an, die ITR hat bereits vor drei Jahren im Bereich Social Media aufs Gas gedrückt. Facebook, Twitter, Instagram, Youtube wurden mit Inhalt befüllt und beworben – es werden Clips produziert, Einblicke hinter die Kulissen gewährt, Autodaten für die mobilen Empfänger aufbereitet. „Man bekommt das Gefühl, man sei live dabei“, sagt Marketing-Mann Frasch. Der Einsatz der finanziellen Mittel scheint sich zu lohnen: Im Vergleich zu 2014 legten Medien wie Facebook für die DTM um 193 Prozent zu, die Video-Views stiegen gar um 482 Prozent, bei Twitter waren es 19 731 Follower (plus 178 Prozent zu 2014), bei Instagram 23 414 (plus 246 Prozent). „Die reine TV-Quote ist nicht mehr aussagekräftig“, erklärt Mertes, „es müssen künftig mehr Indikatoren berücksichtigt werden.“

Wer viel Gas gibt, riskiert auch, aus der Kurve zu fliegen. Zum einen werden in die Social-Media-Offensive Millionen investiert, es werden damit aber nur geringe Einkünfte erzielt – wie bei allen Marketing-Aktionen kann der Erfolg (wenn überhaupt) erst nach längerer Zeit überprüft werden. Zum anderen dürfen die so angefütterten Teens und Twens nicht enttäuscht werden, wenn sie sich endlich eine Karte gekauft haben. Denn auch vor Ort muss das Spektakel halten, was es versprochen hat.

DTM mit GT Masters auf dem Lausitzring

Das ist nicht einfach, immerhin werten Auftritte von Musikstars wie Christina Stürmer in Hockenheim, laute DJ-Partys, Autogrammstunden der Fahrer und Boxengassen-Märsche die Rennen längst von reinem Motorsport-Termin zu einem umfassenden Erlebnis auf. „Wir sind bei der Fan-Freundlichkeit eigentlich an der Oberkante“, sagt Mertes und weiß, dass das nicht genug ist. Somit wird neuer Mehrwert geschaffen. Die Rallyecross-WM führt ihre Rennen im Windschatten der DTM aus, am Lausitzring (3. bis 5. Juni) starten DTM und GT Masters gemeinsam, am Norisring (24. bis 26. Juni) gibt es ein Public Viewing der Fußball-EM. Noch mehr Nähe zum Geschehen ist organisatorisch nicht mehr möglich – dass jeder Fan vor dem Start zwischen den Rennautos durchmarschieren kann, wie oft in den USA, ist bei der DTM nicht praktikabel. Die Veranstaltung ist so streng getaktet, dass „wir es nicht wagen können, dass Zuschauer nicht rechtzeitig von der Strecke gehen“, sagt Mertes. Sonst würden die Partner wohl schnell die Lust an der DTM verlieren.

Lauter gute Ideen, viele kluge Strategien, aber eines wissen Mertes und Frasch nur zu gut – die wichtigste Zutat für eine die Fans fesselnde DTM heißt: Nach jedem Start ein spannendes und spektakuläres Rennen; dazu muss nicht unbedingt die Sonne scheinen.