Trotz so mancher sportlicher Durststrecke steht Mercedes zum DTM-Engagement – auch um Kunden zu gewinnen.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Stuttgart - Fünf Titel in sieben Jahren, das ist Dominanz. Von 2000 bis 2006 war Mercedes der Fixstern in der DTM, Bernd Scheider gewann vier Titel, Gary Paffett einen, lediglich die Audi-Piloten Laurent Aiello (2002) und Mattias Ekström (2004) konnten die Herrschaft kurz brechen. Dann verlor der Stern seinen Platz am DTM-Firmament, zwischen 2007 und 2016 fuhren nur Paul di Resta (2010) und Pascal Wehrlein (2015) an der Spitze der Tourenwagen-Hierarchie.

 

Das Beste oder nichts, lautet ein Slogan des Herstellers; ganz so konsequent sind die Entscheider aber nicht in der Umsetzung. Die Marke aus Stuttgart wird am Wochenende in Hockenheim beim Saisonauftakt natürlich starten. „Wir sind sehr gut vorbereitet“, sagt Uli Fritz, für den DTM-Einsatz bei Mercedes zuständig, „wir haben mehr Testkilometer gesammelt als je zuvor und sind mehr gefahren als die Konkurrenten.“ Was nicht gleichbedeutend damit ist, dass seine Mannschaft als Favorit ins Rennen geht. Testen heißt auch, Gegner täuschen, kein Team deckt seine Karten offen auf der Piste auf vor dem Qualifying am Samstag.

Früher war es einfacher

„Wir wollen ein Wort um den Titel mitreden, das muss unser Ziel sein“, sagt Fritz und hat auch eine Erklärung parat, warum es einst einfacher war, die Konkurrenz abzuhängen: „Vor allem mit dem Einstieg von BMW ist die DTM noch professioneller geworden. Der Wettbewerb ist ungleich härter.“ Auch wenn Mercedes mitunter hinterher hechelte, der Sprit ist nie ausgegangen – obwohl die Motorsport-Abteilung in der Formel 1 seit 2013 Erfolge erzielt und seit 2014 im Sechszylinder-Konzert den Ton angibt, hat die Konzernführung am DTM-Engagement festgehalten. Ein Tanz auf nur einer PS-Hochzeit, wie es BMW seit dem Ausstieg aus der Formel 1 Ende der Saison 2009 vollführt, war keine Option.

Warum? Weil Motorsport mehr ist als der Kampf um Tausendstel und Punkte. Weil ein Konzern mit Motorsport auch Geld verdient werden kann. „Die DTM ist die einzige Motorsport-Plattform, in der seriennah-aussehende Fahrzeuge unterwegs sind“, sagt Michael Bock, „damit sprechen wir ein breiteres Publikum an als in der Formel 1.“ Die Formel 1 ist für den Technik-Freak, dessen Herz wie ein Viertakt-Motor arbeitet; die DTM ist das Umfeld, in dem sich Familien tummeln sowie Menschen, die nicht wissen, was ein Zylinderwinkel ist. „Das sind unsere Kunden“, betont Bock, Leiter Sport- und Lifestyle-Marketing, der sein Wissen aus Umfragen nährt, die während der Saison durchgeführt werden. „Die DTM-Besucher stellen eine einkommensstärkere Gruppe dar als die Formel-1-Anhänger“, sagt Bock, „das sind Menschen, die unsere Autos fahren.“ Der Mercedes C63 DTM als Lockvogel für den Vater, dessen Blutdruck steigt, wenn in der DTM die Ampeln erlöschen. Die Konkurrenz von BMW schickt den M4 DTM und Audi den RS5 DTM als Appetithappen für potenzielle Käufer ins Rennen. Drei Marken auf Punkte- und Kundenjagd.

Im eigenen Saft geschmort

Daher mundeten ihnen die Erkenntnisse der Marktforscher in den zurückliegenden fünf Jahren wie abgestandener Champagner. Nichts prickelte. Die Medien transportierten das Bild einer Rennserie, die im eigenen Saft schmorte, die nicht schmackhaft genug war, um beim gutbürgerlichen Motorsport-Konsumenten Appetit zu wecken. Der Zuschauerzuspruch vor Ort sowie an den TV-Geräten sank, zuletzt stabilisierte er sich mit leichten Zuwachsraten. Michael Bock ist das nicht genug. Gemeinsam mit den Kollegen von Audi und BMW kamen die Mercedes-Leute zur Conclusio: Wir müssen was am Produkt ändern. „Wir müssen nicht Ingenieure glücklich machen“, sagt Bock, „sondern die Zuschauer, denn wir wollen Autos verkaufen.“ Uli Fritz nennt ein Beispiel für die Neuorientierung. Die Boxenstopps in der DTM waren schneller als in der Formel 1. „Was hat der Fan davon? Es ist nur noch eine Computerwissenschaft. Also wurde die Reißleine gezogen“, sagt der knapp 40-Jährige. In dieser Saison bekommen die Live-Zuschauer im Hauptgang je ein Rennen am Samstag und Sonntag serviert, dazu als Beilagen ein neues DRS-System (klappbarer Heckflügel) sowie neue Reifen – und als Sahnehäubchen gibt es die Chance, drei Boxencrews beim Arbeiten auf die Finger schauen zu können. „Um Motorsport-affine Leute anzulocken, muss das Produkt gut sein“, betont Michael Bock, „wir erwarten in dieser Saison eine spürbare Verbesserung der Zahlen vor Ort wie auch am TV und in den Social Media.“

Andere Hersteller scheuen die Teilnahme

Neue Hersteller würden den Reiz erhöhen, doch aufgrund des selektiven Wettbewerbs scheuen sie bislang die Teilnahme. Um die Attraktivität im deutschen Kernmarkt zu steigern, könnte Mercedes die Stellschraube „Fahrerkader“ justieren. In Maro Engel steht nur ein Germane im Mercedes-Sixpack, und der Münchner ist nur bei eingefleischten DTM-Kennern ein Begriff. „Ein deutschsprachiger Topfahrer wäre ideal“, sagt Uli Fritz, der jedoch Daumenschrauben spürt: Nicht jeder starke Pilot ist zu haben, und nicht jeder, der zu haben ist, erfüllt die Qualitätskriterien. Die Marketing-Leute aber wollen mindestens einen Deutschen im Mercedes sehen, sie liefern sich Diskussionen mit Uli Fritz und Motorsportchef Toto Wolff – die beiden wollen zunächst die Marke siegen sehen. Muss tatsächlich die Maxime gelten, dass ein Mercedes-Pilot gewinnt? Nicht unbedingt. „Die Menschen sind klüger als man meint“, sagt Michael Bock, „sie honorieren es auch, wenn einer im Wettbewerb eine gute Figur abgibt – auch das erzeugt Sympathie.“ Man muss in der DTM also nicht als Erster ins Ziel rasen, um ein Sieger zu sein. Zumindest aus Marketing-Sicht.