Einmal Test gefahren und schon gekauft: Der Verkauf von E-Bikes und Pedelecs in Stuttgart boomt. Wir haben den beiden Läden im Kessel einen Besuch abgestattet, die schon seit Jahren nur Räder mit elektrischer Unterstützung verkaufen.

Stuttgart - Vor wenigen Jahren wurden die wenigen E-Bike-Fahrer im Kessel noch müde belächelt. Viele Stimmen aus dem Fahrradhandel sagten den Zweirädern mit elektrischer Unterstützung in der Autostadt keine Zukunft voraus. Mittlerweile wurden Skeptiker aber eines besseren belehrt: Der Handel mit Pedelecs und E-Bikes in der Landeshauptstadt boomt.

 

Von dem Trend profitieren vor allem die Läden, welche sich frühzeitig auf E-Bikes spezialisiert haben. Als Vorreiter in Stuttgart gilt der Laden „Stromrad“ am Olgaeck. Hier verkaufen Ladenbetreiber Marcel Plogstedt und sein elfköpfiges Team bereits seit knapp zehn Jahren nur Räder mit eingebautem Antrieb. Im Stuttgarter Westen gibt es dagegen seit 2013 das „eRadwerk“; der zweite der beiden einzigen Läden in der Innenstadt, welche ausschließlich Elektrofahrräder vertreiben.

Testfahrten als schlagkräftigstes Verkaufsargument

„Wir sind der lokale Rad-Dealer um die Ecke“, beschreibt „eRadwerk“-Chef Michael Lausterer das Konzept des Ladens. Der ehemalige Schreiner wurde das erste Mal durch eine Knieverletzung seiner Mutter auf E-Bikes aufmerksam und witterte ein lukratives Geschäft. Aktuell beschäftigt er zwei weitere Mechaniker, denen die Kunden beim Schrauben hinter der Kaffeetheke zusehen können, und am Wochenende hilft sein Sohn im Verkauf mit.

Und das Geschäft brummt: Schon vor den regulären Öffnungszeiten berät der 50-Jährige einen Bekannten, der über das Wochenende drei E-Räder ausleihen möchte. Ein übliches Modell, wie Lausterer sagt: „Etwa 90 Prozent der Leute, die ein E-Bike getestet haben, wollen danach eins kaufen.“ Auch bei „Stromrad“ wird vor dem Kauf auf einer Testfahrt bestanden. „Wir empfehlen den Leuten immer eine Runde nach Degerloch zu drehen“, verrät Plogstedt. Angesichts des Anstiegs an der Weinsteige sorgt das im ersten Moment oft für verwunderte Gesichter, motiviert im Umkehrschluss aber tatsächlich viele Interessenten zum Kauf.

Der Anteil am Gesamtmarkt wächst in großen Schritten

In den letzten Jahren seien die Leute durch Mund-zu-Mund-Propaganda und das wachsende Thema E-Mobilität verstärkt für E-Bikes sensibilisiert worden, sind sich beide Einzelhändler einig. „Es ist ein bisschen wie ein Virus“, befindet Lausterer. Zu Beginn arbeitete er noch viel mit dem Marketing der Stadt zusammen und organisierte geführte Pedelec-Touren rund um die Hügel und Wälder Stuttgarts. Unter „Überredungsarbeit“ fasst der Schwabe diese Anlaufphase zusammen.

Während anfangs vor allem ältere Menschen die Verkaufszahlen ankurbelten, steigt auch die Popularität von E-Bikes unter jungen Leuten mehr und mehr. Lausterers Hauptkunden sind junge Familien, die sich anstatt eines zweiten Pkws mittlerweile lieber ein Elektrorad kaufen. Nicht zu vergessen ist auch der Wohlstand und die finanziellen Mittel vieler Stuttgarter. Denn: Die Preisspanne der angebotenen Räder bei „Stromrad“ wie auch „eRadwerk“ beginnt etwa bei knapp 3000 Euro.

Das Dienstrad-Konzept Jobrad und die angepasste Rechtsgrundlage der Landesregierung haben ihr übriges zur wachsenden Verbreitung beigetragen. 2017 wurden in Deutschland insgesamt 720.000 E-Bikes verkauft, wie der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) vermeldet. Das bedeutet ein Plus von 19 Prozent zum Vorjahr. „Wir rechnen in drei bis fünf Jahren mit einem E-Bike-Anteil von 23-25 Prozent am Gesamtfahrradmarkt“, prognostiziert ZIV-Sprecher David Eisenberger. Akku- und Antriebmarktführer Bosch gehe sogar von 50 Prozent aus. Derzeit ist knapp jedes fünfte verkaufte Rad mit einem elektrischen Antrieb ausgestattet.

Das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft

„Wir erleben eine Evolution des Fahrrads“, sagt Eisenberger und verweist auf die technischen wie optischen Fortschritte der Hersteller. Neben den spezialisierten E-Bike-Läden tauschen auch konventionelle Radhändler ihr altes Sortiment verstärkt mit elektrisierten Rädern aus. Der Laden „Bike Sport“ am Marienplatz bietet großteils nur noch E-Bikes und Pedelecs zum Verkauf an. Mit reiner Muskelkraft betriebene Drahtesel sind fast gänzlich aus dem Schaufenster verschwunden.

Dabei ist das Potenzial für den Stuttgarter Einzelhandel noch lange nicht ausgeschöpft. „Stromrad“ und „eRadwerk“ fürchten jedoch nicht vor übermäßiger Konkurrenz oder einer Übersättigung des Angebots. Der Markt sei groß genug für alle. „Der Boom wird noch einige Jahre anhalten“, glaubt „Stromrad“-Ladenchef Plogstedt. Die Schätzungen des Verbands und der Hersteller geben ihm auf alle Fälle Recht.