In Weißrussland entscheiden nicht die Einwohner, wann sie im Herbst das erste Mal die Heizung einschalten, sondern die Regierung. Je nach Wetter und Lage der Wohnung kann das sehr ungemütlich werden, findet die StZ-Autorin Annegret Jacobs.

Minsk - Als ich an diesem Morgen in die Küche komme, bedeutet mir Antonina, meine Zimmerwirtin, mich auf die Küchenbank zu setzen. „Heute ist ein Festtag“, sagt sie und schaut mich erwartungsvoll an. Mir wird heiß. Habe ich ihren Geburtstag verschwitzt? Nein, der ist im August, sagt sie und schüttet mir einen dampfenden Kaffee ein. Echten Bohnenkaffee – nicht wie sonst Instantkaffee aus der Tüte.

 

Ich überlege fieberhaft: Dann muss es ein staatlicher Feiertag sein. Wird an diesem Oktobertag vielleicht eines ruhmreichen Sieges der Sowjetarmee gedacht? Tatsächlich aber feiert Belarus seinen Nationalfeiertag am 3. Juli, am Tag der Befreiung von Minsk. Antoninas Lächeln wird ironisch. „Sie haben die Heizung angestellt“, sagt sie triumphierend. Vom Heizkörper unter dem Fenster ist tatsächlich ein leises Pfeifen und Gluckern zu vernehmen. Das also erklärt die wohlige Wärme und Antoninas leichten Morgenmantel.

Die Tradition der zentralen Wärmeregulierung

In Belarus stellen die wenigsten Menschen die Heizung dann an, wenn ihnen kalt ist. Vielmehr hat die unabhängige Republik auch die sowjetische Tradition der zentralen Wärmeregulierung übernommen. Irgendwann im Herbst, niemals aber vor dem 15. Oktober, entscheidet das Ministerium für Wohnungswirtschaft in Minsk, wo im Land wann die Heizungen angehen. Deswegen kann es in Häusern in den Wochen zuvor, je nach Wetter und Lage der Wohnung, sehr ungemütlich werden.

Denn die Bedingung fürs Anspringen der Heizung ist, dass an mindestens fünf aufeinanderfolgenden Tagen die Durchschnittstemperatur unter acht Grad liegt. Ausnahmen werden nur für Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen und Altenheime gemacht. Der Staat, der auch nach der Wohnungsprivatisierung Monopolist für Heizenergie geblieben ist, will auf diese Weise Kosten sparen. „Schon ein Sonnentag macht uns einen Strich durch die Rechnung“, sagt Antonina. Deswegen sehen Belarussen im Gegensatz zu anderen Europäern einem goldenen Herbst mit gemischten Gefühlen entgegen.

Der Fenstergriff wird zum Thermostat

Die Garderobenfrau in der Staatsbibliothek, einem zugigen Palast aus Glas und Stahlbeton, winkt mich deswegen Anfang Oktober durch, als ich sie bitte, meine Jacke im Lesesaal anbehalten zu dürfen. Die Kassiererin im Lebensmittelgeschäft zählt mir mit klammen Fingern mein Wechselgeld in die Hand – während es auf der Straße in der Sonne angenehme 15 Grad sind. „Ja, draußen ist es warm. Aber mein Laden liegt nach Norden raus“, sagt sie und zieht sich die Ärmel wieder über ihre Hände. Dass Verdis „La Traviata“ in ihrem leichten Kleidchen auf der Opernbühne an Tuberkulose stirbt, kann man gut nachvollziehen, wenn man selbst mit Mantel im Sessel sitzt und seine dünne Strumpfhose verflucht.

In Antoninas Küche habe ich meinen Wollpullover ausgezogen. „Dreh’ die Heizung doch ein bisschen runter“, bitte ich sie. Antonina steht auf und macht das Fenster auf. „Man kann die Temperatur nur so regulieren“, entgegnet sie. Mindestens bis März wird der Fenstergriff das Thermostat sein. Doch laut den Nachrichtenagenturen wird dieser Winter der letzte sein, in dem diese Art der Wärmesteuerung mit umgerechnet rund 30 Euro pro Monat für die meisten Bürger noch bezahlbar ist. Derzeit müssen sie nur 30 Prozent der Heizkosten zahlen. Doch bis 2017 plant der Staat, die Subventionen abzuschaffen. „Aber ob wir ihn dann noch wählen, den guten Lukaschenko?“, fragt Antonina und lächelt ironisch. Auf Freiheit, so sehen es viele ihrer Landleute, kann man zur Not auch verzichten. Auf eine warme Wohnung aber nicht.