Einige chinesische Begriffe sind dehnbar wie ein Gummiband. „Vielleicht“ ist ein klassisches Nein – eine Ablehnung, die ganz ohne Negation auskommt. Ein direktes Nein hört man selten. Unser Korrespondent Bernhard Bartsch weiß, warum.

Peking - Ich bin mal wieder darauf reingefallen. Im Winter hatte ich bei Chinas Tischtennis-Nationalteam angefragt, ob ich den Spielern für eine Reportage einen Tag lang bei den Olympiavorbereitungen 2012 zuschauen dürfe. „Im Moment sind wir sehr beschäftigt, aber rufen Sie nächste Woche noch einmal an“, sagte ein freundlicher Assistent. Am folgenden Montag bat er um ein Fax, eine Woche drauf um eine E-Mail, und dann wieder um einen Anruf. Ein halbes Jahr ging das so, und zuletzt mussten wir beide am Telefon lachen. „Das Interview wird doch nie stattfinden“, meinte ich. „Vielleicht“, antwortete er.

 

„Vielleicht“ ist ein klassisches chinesisches Nein: eine Ablehnung, die völlig ohne Negation auskommt. Ein direktes Nein hört man in China selten, denn es gilt als vulgär und gefährlich. „Das Papier eines Fensters geht leicht kaputt“, lautet ein Sprichwort, das vor deutlichen Negationen warnt. Soll heißen: wer das Reispapier durchsticht, mit dem traditionelle Fenster bespannt waren, kann zwar klar sehen, was sich auf der anderen Seite befindet, ist dafür aber auch Wind, Kälte und den Blicken seiner Mitmenschen ausgesetzt. Sich mit den vagen Schemen auf der anderen Seite des Papiers zu begnügen, ist aus chinesischer Sicht keine Einschränkung, sondern ein Gewinn. Harmonie ist das oberste Ziel, und ein offenes Nein kann dieses zerstören.

Von den Chinesen lernen ist verführerisch

Während sich die Chinesen in ihrer seit Jahrtausenden kultivierten negationsarmen Welt bestens zurechtfinden, verlieren Ausländer darin schnell die Orientierung. Das Nein ist der Stoff, aus dem kulturelle Missverständnisse gemacht sind. Ein deutsches Nein sitzt fest wie ein Nagel, ein chinesisches ist dehnbar wie ein Gummiband. Beides hat seine Vor- und Nachteile. Auf den Halt eines Nagels ist Verlass, aber er bleibt auch dann fest an seinem Platz, wenn man merkt, dass er an der falschen Stelle sitzt. Ihn herauszuziehen und neu einzuschlagen, ist mühsam und hinterlässt in jedem Fall ein hässliches Loch. Das Gummiband dagegen ist elastisch und ermöglicht Anpassungen in alle möglichen Richtungen. Daran ziehen kann allerdings jeder.

Auch die Chinesen sind sich dieser Gefahr bewusst. Der bekannte Ratgeber „Die Theorie des Untergebenen – Wie man seinem Chef dient“ widmet ein ganzes Kapitel der Frage: „Wie man falschen Meinungen eines Vorgesetzten widerspricht.“ Ein offenes Nein müsse dabei um jeden Preis vermieden werden. Stattdessen solle der Vorgesetzte behutsam zu der erwünschten Meinung gesteuert werden. „Versichere deinem Chef zuerst, dass er recht hat, und ergänze dann unauffällig deine eigenen Punkte“, lautet einer der Ratschläge.

Zugegeben: so etwas steht auch in europäischen Karriereratgebern. Unsere westliche Kultur des offenen Disputs ist in der Theorie einfacher als in der Praxis. Von den Chinesen zu lernen ist da verführerisch. Ein unmissverständliches Nein schließt Türen, durch die man womöglich später doch gehen will. Mit meinem Freund vom Pingpongteam habe ich jedenfalls vereinbart, dass ich mich vor den nächsten Olympischen Spielen wieder melden werde.