Fußballspielen, Sambatanzen, Biertrinken, alles schön und gut, aber das Lieblingsspielzeug der Brasilianer heißt Orkut, das Quassel-Netzwerk von Google. Auch in der Gerüchteküche kommt das moderne Kommunikationsmittel zum Einsatz.

Rio - Es ist nicht nur Brasiliens Mittelschicht, die das Internet liebt. Quer durch alle Klassen zwitschert und postet und blogt es hin und her, und sogar die Straßenjungen in den Slums schreien heutzutage, wenn sie vor einer Fotografin herumhampeln: „Bota no Face, tia“ – stell’s in Facebook, Tante. Fußballspielen, Sambatanzen, Biertrinken, alles schön und gut, aber das Lieblingsspielzeug der Brasilianer heißt Orkut, ausgesprochen „orkutschi“, das Quassel-Netzwerk von Google.

 

Diese modernen Kommunikationsmittel kommen natürlich auch gerne in der ältesten Desinformationsproduktionsstätte der Welt zum Einsatz, der Gerüchteküche. Wegen ihrer Anonymität und ihrer Reichweite sind sie wie geschaffen dafür. Umso erstaunlicher, dass die brasilianische Polizei nun steif und fest behauptet: Nein, das Internet und die sogenannten sozialen Netzwerke sind an der Ausbreitung des neuesten Gerüchts nicht beteiligt gewesen. Irgendwie mag man es kaum glauben, dass das heutzutage noch geht: Dass eine Falschinformation massenhafte Ausbreitung finden kann ohne Internet – nur indem sie von Mund zu Mund weiter gegeben wird. Doch, so ist es gewesen, sagt die Polizei. Irgendwann und irgendwo trat das Gerücht auf, die Regierung werde ab sofort die Zahlung der Sozialhilfe einstellen, und daraufhin rannten in 13 der 26 Bundesstaaten die Empfänger in Panik zu den Sparkassen und sicherten sich in 900 000 Abhebungen die vermeintlich letzten 152 Millionen Reais, rund 68 Millionen Euro. Endlose Schlangen, gereizte Stimmung, vereinzelte Prügeleien, in Ohnmacht sinkende Frauen, leere Bankautomaten, ratlose Polizisten – so ging es zwei Tage lang zu. Bis sich das Dementi der Regierung herumgesprochen hatte: Nein, alle 13,8 Millionen Familien würden ihre Hilfe ganz normal weiterhin bekommen.

Vier Gründe begleiteten das in Windeseile quer durch Brasilien schwirrende Gerücht: Die Sparkassen würden bald streiken, die Regierung streiche die Hilfe für immer, oder sie streiche sie zeitweilig, um mit der Einsparung entweder den Confederations Cup im Juni oder den Papstbesuch im Juli zu bezahlen. Und dann gab es noch die Gerüchte-Variante, nach der die Hilfe im Mai nicht gestrichen, sondern verdoppelt werde, weil Präsidentin Dilma Rousseff eine Muttertags-Sonderzahlung spendiert habe. Was die Schlangen vor den Sparkassen noch mal verlängerte.

Wie verbreitet sich ein Gerücht?

Wie entsteht so etwas? Dahinter müsse die Opposition stecken, twitterte eine Ministerin, die für dieses Dampfgeplauder ordentlich Prügel einstecken musste. Nein, es gibt keine Erklärung, bisher jedenfalls nicht. Im Internet spiegelt sich nur die Reaktion auf das Gerücht wider, nicht seine Entstehung. Irgendwann war es da, und dann ist es so umgegangen, wie das Gerüchte seit Menschengedenken tun: Der eine sagt es, der andere hört es und sagt es weiter. Und je größer die persönliche Betroffenheit der Verbreiter, desto höher die Umlaufgeschwindigkeit.

„Gerücht verdoppelt, so wie Stimm‘ und Echo, die Zahl Gefürchteter“, heißt es bei Heinrich IV. von Shakespeare. Die Zahl der Fürchtenden dagegen kann ein Gerücht schnell mal verhunderttausendfachen.