Thomas Rosner aus Urbach war viele Jahre ein Schreinermeister mit Informatikfaible. Seit acht Jahren tüftelt er mit seiner Firma Hilfsmittel für Menschen aus, die sich kaum oder nicht bewegen können. Nun ist Homebrace für den Landespreis nominiert.

Urbach - Cool sieht sie aus, die Brille auf Thomas Rosners Nase: ein schwarzes Gestell, darin phototrope Gläser, die sich bei hellem Sonnenlicht dunkel einfärben. Dass die Brille nicht nur ein schickes Accessoire ist und weit mehr kann, als die Augen vor schädlicher UV-Strahlung zu schützen, sieht man erst auf den zweiten Blick. Unter der Fassung des linken Brillenglases sitzt nämlich ein schmales Kabel, an dem sich ein Sensor befindet, der die Bewegung des Auges erfasst. Zusammen mit einer ausgeklügelten Software ist es so möglich, dass der Träger der Brille einen elektrischen Rollstuhl mittels Blicken in die gewünschte Richtung steuern kann. Schließt er oder sie die Augen, hält der Rollstuhl an.

 

MyEcc Pupil nennt die Urbacher Firma Homebrace ihre Erfindung, mit deren Hilfe Rollstuhlnutzer beispielsweise auch die Rückenlehne ihres Rollis verstellen oder einen Roboterarm bewegen können, der ihnen einen Becher an den Mund führt. Ein großes Stück Unabhängigkeit und Selbstbestimmung für Menschen mit Muskelerkrankungen wie Amyotropher Lateralsklerose (ALS), Multipler Sklerose (MS) oder Spastiken.

Thomas Rosner: weltweit keine Alternative

Im Februar hat Thomas Rosner die neue Entwicklung seiner im Jahr 2012 gegründeten Firma Homebrace auf einer Messe in Dubai präsentiert. Die Begeisterung für die Brille, die 11 000 Euro kostet, sei groß gewesen, berichtet der Urbacher: „Es gibt momentan weltweit keine Alternative zu dieser Brille.“ Und so verwundert es nicht, dass es der Betrieb mit zwölf Beschäftigten unter die Top 20 der für den Landespreis für junge Unternehmen nominierten Firmen geschafft hat.

Für Informatik und Elektrotechnik hat sich Thomas Rosner schon als Jugendlicher interessiert. Seiner Mutter zuliebe machte er aber eine Ausbildung zum Schreiner und arbeitete 20 Jahre in diesem Beruf. Sein Faible für Informatik lebte der Schreinermeister in der Freizeit aus. Das wäre vielleicht so geblieben, wenn nicht seine Tochter Lea im Jahr 2009 mit einer Infantilen Cerebralparese (ICP) auf die Welt gekommen wäre.

Eine Spielerei? Ein Stück Selbstbestimmung!

„Lea kann nicht laufen und nicht reden, aber kommunizieren“, erzählt Thomas Rosner, der eines Tages die Idee hatte, den vom Töchterchen geliebten Tabletcomputer so auszustatten, dass Lea damit den Rollladen vor ihrem Zimmerfenster steuern konnte. „Ich habe zwei Fotos gemacht – eins mit halb heruntergelassenem Rollladen und eins, bei dem er oben ist“ erzählt der 45-Jährige. Je nachdem, auf welches Foto Lea tippte, setzte sich die Jalousie nach unten oder oben in Bewegung. Ihm sei damals nicht bewusst gewesen, dass er etwas Neues entwickelt habe, sagt Thomas Rosner. Die Tragweite der vermeintlichen Spielerei wurde ihm erst klar, als er bei einem Termin mit seiner Tochter in einem Sanitätshaus zufällig mit dem Außendienstmitarbeiter eines Rollstuhlherstellers ins Gespräch kam.

Dieser war gleich angetan von Rosners Entwicklung, wenig später besuchte der Urbacher mit der Rollstuhlfirma seine erste Messe und präsentierte die Idee, das heimische Umfeld via Tablet zu managen – zum Beispiel das Licht anzuschalten oder Radio und Fernseher zu bedienen. „Alle waren hellauf begeistert“, berichtet Thomas Rosner, der sich danach so richtig reinkniete, immer weiter tüftelte und schließlich eine schwarze Box entwickelte, die universell einsetzbar ist und dank der Rollstuhlfahrer ihr elektrisches Gefährt über ein Tablet, mithilfe eines Joysticks, oder über die Augen in Bewegung setzen und steuern können.

Die Tüftelarbeit endet nicht

„Der klassische Kunde für die Augensteuerung sind Menschen mit ALS oder Kinder mit unkontrollierten Spastiken, die meist hochintelligent sind, aber einen Joystick nicht gezielt einsetzen können“, sagt Thomas Rosner, der vor acht Jahren seine zweite Berufslaufbahn begonnen hat – in der heimischen Garage. „Ich war Einzelkämpfer und die ersten vier Jahre waren hart“, sagt er: „Ich musste erst lernen, wie dieser Markt funktioniert und wie ich an Kunden komme.“ Mittlerweile ist seine Firma in Räume auf dem Gelände der ehemaligen Weberei Hornschuch umgezogen.

Dass die Augensteuerung via Tablet im Außenbereich nicht oder nur bei trübem Wetter funktioniert – helles Sonnenlicht stört die Funktion der eingebauten Infrarotdioden – hat zu noch mehr Tüftelarbeit geführt. „Wir haben einiges ausprobiert, bei einem Partyabend kam dann die Idee, eine Brille zu entwickeln, bei der der Sensor direkt am Auge sitzt. Und dann ging es los“, so schildert Thomas Rosner die Entstehung der neuesten Erfindung, für die sich Menschen rund um den Globus interessieren. Schade nur, dass es wegen der Corona-Pandemie derzeit unmöglich ist, die magische Brille weltweit live vorzuführen. Trotzdem: seit März hat Thomas Rosner vier neue Mitarbeiter eingestellt, weitere sollen folgen.

„Man bekommt viele Schicksale mit und sieht vieles, was nicht schön ist“, sagt Thomas Rosner über den Berufsalltag bei der Firma Homebrace. Was ihn und sein Team motiviert, das ist die Perspektive, die er dank der diversen Erfindungen schwerkranken Menschen bieten kann: „Manch einer hat mit dem Leben fast schon abgeschlossen, aber durch diese neuen Möglichkeiten bekommt das Leben eine ganz andere Qualität.“

Landespreis für junge Unternehmen

Auszeichnung:
So viele Teilnehmer wie noch nie, nämlich 619 aus Baden-Württemberg, haben sich dieses Mal um den mit insgesamt 90 000 Euro dotierten Landespreis für junge Unternehmen beworben. Dieser wird im Zwei-Jahres-Rhythmus von der Landesregierung und der L-Bank an innovative Unternehmen vergeben, die nach dem Jahr 2009 gegründet oder übernommen wurden.

Unternehmen
: Zwei Firmen aus dem Rems-Murr-Kreis haben es unter die letzten 20 Bewerber geschafft: die Firma Homebrace in Urbach sowie die Firma Streker Natursaft in Aspach. Die Gewinner des Landespreises werden im November geehrt.