Die US-Serie „The Handmaid’s Tale“ mit Elisabeth Moss ist feinstes Qualitätsfernsehen. Der Abräumer bei den Emmys läuft hierzulande trotzdem nur beim Telekom-Dienst EntertainTV.

Stuttgart - Von der süßen Pflicht des Dienens ist viel die Rede, von Anstand und der Liebe Gottes. Wenn die jungen Frauen, die da von halb militärisch, halb klösterlich auftretenden Erzieherinnen belehrt werden, unaufmerksam sind, kommt ruckzuck ein Elektroschockstab zum Einsatz, und die künftige Magd einer Elitefamilie krümmt sich unter Schmerzen. Unter günstigen Umständen bleibt es dabei. Wird der Widerstandsgeist als hartnäckiger eingestuft, wird das Opfer in der Welt der TV-Serie „The Handmaid’s Tale“ schon mal aus dem Lehrsaal geschleift und bekommt in einem Akt christlicher Fundamentalistenjustiz ein Auge entfernt.

 

„The Handmaid’s Tale“ ist die derzeit meistgelobte Serie in der Oberklasse der amerikanischen Fernsehwelt. Für dreizehn Emmy Awards war das zehnteilige Schmuckstück des US-Streamingdienstes Hulu dieses Jahr nominiert, acht davon hat es gewonnen – unter anderem den Emmy als herausragendes Drama. Die Wertschätzung der Kritik gilt der exzellenten Machart, der makellosen Ausstattung, der großartigen Kameraarbeit – aber eben auch der gesellschaftlichen Brisanz. „The Handmaid’s Tale“ wirkt wie ein schneidender Kommentar zum Rechtsruck der USA unter Donald Trump und zum Salonfähigwerden religiöser Ultrareaktionäre im Weißen Haus und anderswo.

Aufstieg der Fanatiker

Die Serie führt in ein Nordamerika der nahen Zukunft, in dem die religiöse Rechte sich durchgesetzt und eine Art Gottesstaat errichtet hat. Der permanente Ausnahmezustand eines ominösen Krieges und angeblicher Terroristen wegen trifft zwar alle. Aber gezeigt wird uns die ultrakonservative Gemeinschaft aus der Perspektive von Menschen, denen die Bürgerrechte besonders brutal genommen wurden: aus der von Frauen, die den Herrschenden als lebende Prothesen dienen.

Wie im zugrunde liegenden Roman der Kanadierin Margaret Atwood aus dem Jahr 1984 ging auch in dieser Serie dem Aufstieg der religiösen Fanatiker eine lange Phase des Geburtenrückgangs aus medizinischen Gründen voraus. Unfruchtbarkeit ist nun auch in der neuen Herrscherkaste eher die Norm als die Ausnahme, und so werden Gebärfähige gesucht, die Leihmütter werden können. Nur geht das nicht nach modernen Prinzipien und mit laborkühler künstlicher Befruchtung vor sich, sondern in archaischer Umsetzung alttestamentarischer Geschichten.

Gehirnwäsche und Zermürbung

Elisabeth Moss spielt ergreifend eine einstige Uniabsolventin, deren Kind man geraubt und deren Mann man ermordet hat. Auch ihr Name wurde ihr genommen, Offred soll sie von nun an heißen, Teil einer täglichen Gehirnwäsche und Zermürbung, die willenlosen Gehorsam bezweckt.

Die 77-jährige Atwood, die am Sonntag den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen bekommt, hat ihren Roman einst gar nicht speziell auf die USA gemünzt. Ihre Erfahrungen mit reaktionären Tendenzen beim mächtigen Nachbarn Kanadas mischten sich mit dem radikalen Umbau des Irans nach dem Sturz des Schahs und mit Eindrücken aus Osteuropa. Der Ansatz, ein System zwar konkret auszumalen, aber eine universale Geschichte über Totalitarismus und Tyrannei zu erzählen, prägt auch die Serie, deren Showrunner Bruce Miller angedeutet hat, über Atwoods Romanstoff hinaus ein Grobkonzept für zehn Staffeln zu besitzen. „The Handmaid’s Tale“ ist sehr viel gelungener als Volker Schlöndorffs Adaption des Stoffes aus dem Jahr 1990, die unter dem Titel „Die Geschichte der Dienerin“ im Kino lief.

Unerwartet bei der Telekom

Bei so viel Substanz und Zuspruch könnte man annehmen, „The Handmaid’s Tale“ laufe hierzulande bei den Prestigeführern der Streamingwelt, bei Netflix, bei Amazon Prime, allenfalls noch bei Sky. Aber so wie diese sehr erwachsene Schreckensvision in den USA den kleinen Dienst Hulu in neue Dimensionen katapultiert, so hat in Deutschland ein relativer Neuling im Reich der Qualitätsangebote zugegriffen: Die Serie ist bei EntertainTV abrufbar, dem Dienst der Telekom, der offenbar ein ganz neues Image und Publikum sucht.

Nicht jeder Newcomer kann bei angesagte Serien mitbieten, aber für Giganten wie die Telekom macht das Sinn. Man will Kunden ja nicht nur für einzelne Serien, sondern für Komplettangebote aus Telefonie, Netzzugang und Content gewinnen. Für deutsche Serienfreunde sind das nicht unbedingt gute Nachrichten. Gut möglich, dass sich in den kommenden Jahren die wichtigen Serien einer Saison über noch mehr profilbedürftige Anbieter verteilen werden, dass man, um alles Lockende früh sehen zu können, fünf oder sechs Abos laufen haben muss. Immerhin, in der fiktiven Welt von „The Handmaid’s Tale“ würden die Unterdrückten solche Probleme von wuchernder Vielfalt, schwer überschaubarer Auswahl und prägnanten Blickwinkeln liebend gerne haben.