Der mediale Wirbel um dieses Buch ist überwältigend: In Dave Eggers’ Roman „Der Circle“ erringt ein Internetunternehmen die Totalkontrolle über das Leben und Denken der Menschheit. Nun ist das Buch auf Deutsch erschienen.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Der mediale Wirbel um dieses Buch ist so überwältigend, dass man ihn bereits für einen Teil dessen halten könnte, wovor es warnt – für das Ergebnis einer raffinierten kollektiven Gleichschaltung. In großen Themenausgaben haben die „Zeit“ und die „FAS“ unbekümmert um Sperrfristen und Erscheinungstermine Dave Eggers’ Roman „Der Circle“, dessen deutsche Übersetzung seit letztem Freitag im Handel ist, als Buch der Stunde inszeniert: als den Roman zu dem großen Film der Gegenwart, in dem wir alle mitspielen, der von der Zeitenwende handelt, in der die mächtigen Internetkonzerne sich anschicken, entweder die Menschheit aus analoger Unmündigkeit ins Licht der digitalen Freiheit zu führen – oder umso nachhaltiger unter einer neuen Diktatur der totalen Überwachung zu versklaven.

 

Dass das eine womöglich nicht ohne das andere zu haben ist, liegt in der Konsequenz der Geschichte, die Eggers hier erzählt, indem er die Gegenwart nur ein wenig weiterdenkt. Und wenn es neben der medialen Mobilmachung noch einer Erklärung für die erstaunliche Karriere bedürfte, die dieser Roman in der englischsprachigen Welt bereits gemacht hat und nun im Begriff ist, auch hier fortzusetzen, es wäre wohl die, dass man wohl selten von einer apokalyptischen Zukunftsfantasie mit so vertrauten Augen angeblickt wurde, wie dies hier der Fall ist.

In dem ökonomischen Verdauungstrakt jenes Circle, der dem Roman den Namen gegeben hat, kreisen Bestandteile all jener Konzerne, die er sich in der Spanne, die uns von der nahen Zukunft trennt, einverleibt hat: Google, Twitter, Facebook, Paypal. Doch sein Erscheinungsbild ist nicht das eines gefräßigen Monsters, einer Krake, ganz im Gegenteil, es gleicht Paradiesischem.

Wer hier arbeitet, hat es geschafft

Kein Wunder denkt die Protagonistin Mae, die es aus einem tristen Provinz-Konzern in diesen kalifornischen Zauberkreis verschlagen hat, sie sei im Himmel gelandet. Wer hier arbeitet, hat es geschafft. Er ist Teil einer Unternehmenskultur, die im Kleinen realisiert, woran die Welt im Ganzen genesen soll: „Außerhalb der Circle-Mauern gab es bloß Lärm und Kampf, Versagen und Dreck. Hier dagegen war alles vollkommen. Die besten Leute hatten die besten Systeme gemacht, und die besten Systeme hatten Geldmittel eingebracht, unbegrenzte Geldmittel, die das hier möglich machten: den allerbesten Arbeitsplatz.“ Alle sind mit Leidenschaft bestrebt, sich selbst und einander zu verbessern und ihr Wissen mittels sozialer Netzwerke zu teilen und in der Welt zu verbreiten. Das Geschäftsmodell, auf dem die Macht des Kreises beruht, ist ein Werk der Reinigung: Wo manche Pessimisten den Untergang des Internets im unkontrollierbaren Morast anonymer Schwarmferkeleien befürchten, haben die Circler ein Programm entwickelt, das eine Klarnamen-Identität für sämtliche Netzwerkaktivitäten vorsieht. Zur Heilsgeschichte dieses von einer Manager-Trinität geführten Unternehmens gehört die Austreibung der Anonymität, des Geheimnisses und der Privatsphäre. Dieser Konsequenz folgen alle weiteren Innovationen des Unternehmens: Seechange, eine Totalerfassung der Welt mittels billiger kleiner Kameras, die der humanitären Mission Vorschub leisten soll, dass alles, was passiert, bekannt sein müsse; Childtrack, ein in die Knöchel kleiner Kinder implantierter Chip, verunmöglicht ein für alle Mal Kindesmissbrauch und –entführung; und über das leibliche Wohl wacht ein kleiner Sensor, der sämtliche Körperdaten der Mitarbeiter auf einen Handgelenkmonitor überträgt und von dort in die Cloud, denn vollständige Informationen führen zu einer besseren medizinischen Versorgung.

Totale Transparenz lautet das Credo des Kreises, Mae wird zu seiner engagiertesten Propagandistin. Am Ende gibt es keine korrupten Politiker mehr, keine geheimen Absprachen. Und warum sollte ein Unternehmen, das über eine so effiziente Infrastruktur verfügt, dies alles umzusetzen, nicht auch noch den Staat bei einem öffentlichen Akt wie Wahlen unterstützen? „Wenn wir den Willen des Volkes jederzeit feststellen können, ungefiltert, ohne Fehlinterpretationen oder Verfälschungen, wäre dann nicht sogar Washington überflüssig?“, fragt sich Mae nach ihrem Durchmarsch durch die sozialen Bewertungs- und Rankingsysteme des Kreises, die das Chaos des menschlichen Lebens lichten und noch die unvorhergesehene Frühejakulation eines verliebten Kollegen auf einer beruhigenden Skala zwischen Eins und Hundert einordnen. „Jetzt sind wir alle Gott. Bald wird jeder Einzelne von uns in der Lage sein, jeden anderen zu sehen und ein Urteil über ihn zu fällen.“

So weit die Utopie. Doch zur Geschichte der Utopie gehört ihr Gegenteil – das Umschlagen der Vorstellungen vom besseren Leben in nackten Terror. Seit Platon, der in seiner Staatsvision die Macht für eine philosophische Wissenselite reklamiert hat, ist jeder Utopie die Dystopie einbeschrieben als ein sich über die Interessen der Einzelnen hinwegsetzender totalitärer Herrschaftsanspruch, der sich nicht nur in den faschistischen Weltbeherrschungsfantasmen, sondern auch in dem Wahrheits- und Politikmonopol der kommunistischen Partei bekundet hat. Und jener Weg, den im Paradiesgärtchen des Circle Slogans wie „Bringt Euch ein“, „Seid fantasievoll“, „Träumt“ pflastern, mündet am Ende in Größenwahn, Disziplinierung und rücksichtslose Kollektivierung des Einzelnen.

Er rüttelt auf und schläfert ein

In dieser Diagnose liegt die Stärke von Eggers’ Roman, dessen Kritik in wünschenswerter Deutlichkeit durch die Sprachrohre des Autors wie Maes einstigem Jugendfreund und dem abtrünnigen Gründervater des Circles selbst manifestfähig formuliert wird. Der Geist ist aus der Flasche, warnt letzterer: „Stell dir vor, du hättest etwas tun können, ehe Hitler Kanzler wurde. Ehe Stalin Osteuropa annektierte. Wir sind drauf und dran, ein weiteres sehr hungriges, sehr böses Reich zu erschaffen.“

Doch so schlau und informiert Eggers als Mahner agitiert und aufrüttelt, so sehr schläfert er als Erzähler ein. Seine literarischen Mittel reichen an seine thematische Beschlagenheit nicht heran. Über weite Strecken bietet der Roman einen Abklatsch jener Produktpräsentationen, wie sie in der schönen neuen Unternehmenswelt gang und gäbe sein mögen. Der Leser fühlt sich zuweilen wie auf einer didaktischen Butterfahrt durch das digitale Haifischbecken.

Bestürzender aber noch als mancher düstere Horizont, auf den er dabei blickt, überfällt ihn die Furcht, die Leute könnten sich in der Zukunft immer noch mit so einfältigen Dialogen beharken wie diese Leute sie hier austauschen, wenn sie einmal nicht online sind. Die analogen Formen des Zusammenlebens erscheinen ähnlich dämlich wie die Massen an Smiles und Frowns, die die digitale Vergesellschaftung bestimmen. Das sollte zu denken geben.

Der Kreis schließt sich

Eggers nutzt den Roman, wie man in jenen puritanischen Zeiten, deren Disziplinierungsideologie der Circle geerbt hat, Literatur benutzt hat: als Medium zur Unterweisung. Damit aber zirkuliert er selbst in jener Sphäre, deren Kritik ihm obliegt: als eine Position unter Positionen. Hier schließt sich der Kreis.