In diesem Artikel erläutern wir, was hinter der Jugendbewegung steckt und wie sie entstanden ist.

Digital Desk: Lukas Böhl (lbö)

E-Girls (auch eGirls) und E-Boys (auch eBoys) sind nicht etwa künstliche Intelligenzen oder computergenerierte Influencer, dahinter verbergen sich junge Menschen, die durch eine besondere Ästhetik und die ausgeprägte Nutzung neuer Medien wie TikTok, Twitch oder Instagram auffallen. Der Begriff ist nicht zu verwechseln mit der Emo-Bewegung, die Mitte der 2000er Jahre große Beliebtheit erfuhr und sich eher über die eigene Gefühlswelt und einen bestimmten Musikgeschmack definierte.

 

Wofür steht das „E“ in „E-Girl“?

Das „E“ steht in diesem Kontext nicht für „Emotional“, sondern für „Electronic“, was vor allen Dingen mit der starken Nutzung elektronischer Medien zu tun hat. Dabei ist „E-Girl“ keineswegs ein neuer Begriff. Im Urban Dictionary findet sich eine Definition aus dem Jahr 2009, die auf die negative Herkunft des Begriffes hindeutet.

Denn ursprünglich diente die Bezeichnung E-Girl als Diffamierung für Frauen, die sich in von Männern besetzten Online-Domänen wie dem Gaming aufhielten. In gewissen Kreisen, vor allen Dingen Gamer-Foren, ist die Bezeichnung E-Girl nach wie vor eine Beleidigung und wird hin und wieder synonym zum abwertend gemeinten Ausdruck „Gamer Girl“ verwendet. Hintergrund ist die sexistische Annahme dieser Gemeinschaft, dass die Frauen sich online eine zweite Identität anlegen und Interesse an Hobbys wie Gaming vortäuschen, um Bewunderung von Jungs einzuheimsen.

Die von solchen Behauptungen beschuldigten Mädchen verkehrten die Beleidigungen mit der Zeit einfach ins Lächerliche und begannen sie selbstironisch für sich zu verwenden. Zwar haben die E-Girls ihr Label dadurch nicht unbedingt zum Positiven gewendet, zumindest aber verniedlicht. Aus den genannten Gründen kann der Begriff E-Girl beschreibend, beleidigend oder ironisch verwendet werden.


Was zeichnet die E-Girls und E-Boys aus?

Wie oben beschrieben, wurde der Begriff E-Girl anfänglich abwertend genutzt, um vermeintlich unechte Online-Identitäten zu entlarven. Im Kern ist diese Bedeutung geblieben, wenn auch nicht mehr so negativ behaftet. Denn viele E-Girls und E-Boys kreieren in den sozialen Medien ein Bild von sich, das nicht unbedingt mit ihrer alltäglichen Realität übereinstimmt.

Während klassische Influencer versuchen, ihr Leben durch Reisen oder materielle Dinge möglichst interessant wirken zu lassen, steht bei den E-Girls besonders die Ästhetik im Vordergrund, mit der sie sich auf Twitch, TikTok und Instagram präsentieren. Interessen wie Gaming oder Animes sind eher Beiwerk, das zum Gesamtbild beiträgt. Etwas zynisch könnte man daher auch sagen: Sie sehen gut aus und haben eine Online-Präsenz.

Was ihren Style angeht, so mischen sie Elemente aus Punk, Emo, Gothic, Grunge und Metal mit bunten Accessoires und teilweise aufreizender Wäsche. Piercings und Tattoos sind ebenso beliebt wie bunte, zu Zöpfen geflochtene Haare oder übertriebenes Make-up, das in Kombination mit Bildfiltern für ein fast Anime-artiges Aussehen sorgt. Obwohl die E-People so viel Wert auf Äußerlichkeiten legen, findet ihre Präsenz fast ausschließlich online statt. TikTok und Instagram sind Schaubühne für die zweite Persönlichkeit, die im wahren Leben oftmals hinter normalen Klamotten und Alltagspflichten verschwindet.


Woher kommt der Trend?

Die Popularität des Trends ist zumindest in großen Teilen der App TikTok zu verdanken, auf der Nutzer kurze, prägnante Videos mit lustigen, musikalischen oder schauspielerischen Inhalten posten. Besonders beliebt im Zusammenhang mit dem Trend sind die „E-Girl-Factory-Videos“, in denen normale Menschen in diese vermeintlichen Fabriken gesteckt werden und als E-Girls bzw. E-Boys wieder herauskommen.

Was anfangs noch eher ironische Züge hatte und vergleichbar mit einem Meme war, stellte sich als echtes Klickwunder heraus. Noen Eubanks, der wohl eines der bekanntesten Beispiele der Szene ist, hat auf TikTok mehr als sieben Millionen Follower. Wahrscheinlich ist der aktuelle Aufwind dieser Bewegung auf die Inkorporation und Vermischung verschiedener angesagter Themen aus der Popkultur zurückzuführen:
 

  • Animes
  • Emo-Rap
  • Second-Hand-Fashion
  • Memes

Vielen Anhängern der Szene wird daher vorgeworfen, nur auf den Zug aufzuspringen, um Follower einzusammeln.


Wie grenzen sich E-Girls von anderen Bewegungen ab?

Wer aktuelle Jugendtrends verfolgt, wird schnell merken, dass die Ästhetik der eGirls alles andere als einzigartig ist. Angesagte Musikstars wie Lil Uzi Vert oder Sängerin Billie Eilish integrieren ähnliche Stilelemente wie gebrauchte Bandshirts oder bunte Haare in ihre Looks.

Es ist daher gar nicht so leicht, die eBoys und eGirls von anderen Trends abzugrenzen. Die Übergänge sind hier teilweise fließend, denn auch eine starke Online-Präsenz ist unter Jugendlichen heute keine Seltenheit mehr. Im Prinzip kann und könnte jeder ein eBoy oder eGirl sein.

Was jedoch viele Anhänger dieser Richtung gemein haben, ist die Zurückgezogenheit in die eigenen vier Wände. Diese Szene, wenn man sie so nennen möchte, braucht weder Festivals noch kultige Bars oder andere öffentliche Treffpunkte, um sich zu präsentieren. Man tauscht sich online aus, produziert Videos für TikTok oder Twitch im eigenen Schlafzimmer und muss nicht zwangsläufig rausgehen.


Typische Merkmale der e-People

Typische Merkmale eines eGirls
 

  • Pinkfarben geschminkte Wangen und Nasenspitze
  • Spitz auslaufender Eyeliner
  • Bunte Haarclips
  • Tattoostempel mit Herzen oder anderen Motiven
  • Karierte / gestreifte Kleidung
  • Ketten, Choker-Halsbänder und andere auffällige Accessoires
  • Ganz oder teils gefärbte Haare in knalligen Farben

Typische Merkmale eines eBoys
 

  • 90er Boy-Band-Look gepaart mit Grunge- und Gothic-Elementen
  • Schwarz- oder buntgefärbte Haare
  • Schwarzer Nagellack
  • Gestreifte Oberteile, Stiefel oder Skater-Schuhe
  • Ketten und auffällige Ringe / Ohrringe

Es gibt mittlerweile sogar Tutorials, die zeigen, wie man zu einem E-Girl bzw. E-Boy wird. Darüber hinaus wird in etlichen YouTube-Videos gezeigt, was den Style ausmacht. Ein Beispiel können Sie sich hier ansehen:


Kritische Betrachtung der eGirls

Unlängst machte das populäre eGirl Mary-Belle Kirschner, bekannt unter ihrem Künstlernamen Belle Delphine, Schlagzeilen, weil sie ihr Badewasser an Fans verkaufte. Wirft man einen Blick auf das Instagram-Profil der 1999 geborenen Influencerin, wird schnell klar, dass es hier um mehr geht, als einen harmlosen Jugendtrend. Viele der Fotos zeigen sie in anrüchigen Posen mit knapper Bekleidung, wobei gerade so viel bedeckt wird, dass es nicht gegen die Richtlinien von Instagram verstößt. Diese Sexualisierung ihres Online-Auftritts nutzt die junge Engländerin, um über einen eigenen Webshop Produkte zu verkaufen oder über die Plattform Patreon Spenden im Tausch für „anzügliche Fotos“ einzusammeln.

Eine weitere Größe der Szene, Rusty Fawkes, nutzt ein ganz ähnliches Geschäftsmodell. Sie kreiert laut ihrem Patreon-Profil unanständige Cosplays und zeigt sich ebenso freizügig wie Belle Delphine auf Instagram. Eine beliebte Pose der Szene ist darüber hinaus der sogenannte Ahegao-Gesichtsausdruck, der aus der japanischen Pornografie, insbesondere den Hentai-Mangas, stammt und dort maximale Lust symbolisiert. Dabei wird die Zunge herausgestreckt und die Augen nach hintern gerollt. Ob die Szene diesen Ausdruck unwissend oder gezielt einsetzt, ist unklar. Wenn man allerdings bedenkt, dass viele dieser Mädchen (und Jungen) noch minderjährig sind und solche Bilder öffentlich im Internet verbreiten, ist das höchst bedenklich.


Fazit

Noch ist die Szene der E-Girls und E-Boys nicht wirklich gefestigt, die Grenzen zu anderen Trends wie dem Emo-Rap oder Cosplay sind fließend. Wie vieles in der heutigen Internetkultur, können die Inhalte als Witz oder Meme aufgefasst werden. Außerdem scheint die Bewegung durch Größen wie Belle Delphine oder Noen Eubanks und deren Social-Media-Auftritte in der Wahrnehmung viel größer zu sein, als es in der Realität der Fall ist. Zumal die übermäßige Sexualisierung mancher Szeneanhänger die Frage aufwirft, ob es sich hierbei nicht um eine neue Darstellungsform der Erotik handelt. Ob E-People nur eine kurzlebige Modeerscheinung sind oder sich zur beständigen Jugendkultur entwickeln, wird die Zeit zeigen.

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