Viele Menschen in Stuttgart-Degerloch können nicht verstehen, dass zwei historische Gebäude von der Großen Falterstraße verschwinden sollen. Mieter haben von den Planungen aus unserer Zeitung erfahren.

Degerloch - Die Information hat die Mieter des Gebäudes den der Großen Falterstraße 20 kalt erwischt. Aus unserer Zeitung erfuhren sie, dass die Stadt nicht nur das 2017 entmietete Gebäude Große Falterstraße 18 abreißen, sondern auch jenes an der Großen Falterstraße 20. Anschließend soll das Areal im Herzen des Bezirks neu bebaut werden.

 

Vor allem für eine Bewohnerin war diese Nachricht ein großer Schreck, lebt sie doch seit ihrer Geburt in dem 1879 erbauten Gebäude. „Seit 56 Jahren wohne ich hier“, sagt die Mieterin, die nach dem Tod ihrer Mutter deren Mietvertrag übernommen hat. „Dieser besteht seit 1942“, erzählt die 56-Jährige, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Und sie ergänzt: „Eigentlich wohnen wir hier schon in dritter Generation, denn meine Großeltern haben einst im Vorderhaus gewohnt.“

Bisher hieß es gegenüber den Mietern: Es besteht Denkmalschutz

Dass die Stadt das Gebäude abreißen will, hat die Bewohnerin der Großen Falterstraße 20 vor allem aus einem Grund überrascht: „Bisher hat man uns immer gesagt, das Gebäude steht unter Denkmalschutz“, erzählt die 56-Jährige. In der Vergangenheit seien mit diesem Verweis von der Stadt als Vermieter Sanierungsmaßnahmen abgelehnt worden. Nun habe sie auf Nachfrage beim Liegenschaftsamt erfahren, dass gar kein Denkmalschutz bestehe. Zwei Wohnungen im Gebäude Große Falterstraße 20, das einst als Schulhaus diente, sind vermietet. Außerdem befindet sich dort eine Außenstelle des Gesundheitsamts.

„Das Gebäude Große Falterstraße 18 kann aufgrund des baulichen Zustands nicht erhalten werden. Ein Sachverständigengutachten hat ergeben, dass das unter dem Putz vorhandene Fachwerk nahezu komplett verfault und zudem das Gebäude vom Hausschwamm befallen ist“, hat die Stadt nach der Berichterstattung unserer Zeitung offiziell mitgeteilt. „Aus diesem Grund kann die Tragfähigkeit des Hauses nicht mehr gewährleistet werden. Eine Sanierung ist nicht möglich“, teil die Stadt weiter mit.

SWSG erarbeitet derzeit eine Machbarkeitsstudie

Laut Stadt erarbeitet die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG) derzeit eine Machbarkeitsstudie „mit gefördertem und freifinanziertem Wohnungsbau und einer mindestens viergruppigen Kindertageseinrichtung für das Areal Große Falterstraße 18 und 20“. Obwohl für die beiden Gebäude kein Denkmalschutz bestehe, werde durch die SWSG geprüft, ob das Gebäude an der Großen Falterstraße 20 erhalten werden kann. Sobald das Ergebnis der Machbarkeitsstudie vorliegt, sollen auch die politischen Gremien beteiligt werden.

Helmut Doka, Vorsitzender der Geschichtswerkstatt Degerloch, hat die Nachricht von den Plänen zur künftigen Entwicklung des Areals – wie viele Degerlocher – „sehr überrascht“. Er kann nicht nachvollziehen, dass ein weiterer Teil des historischen Ortskerns verschwinden soll, zumal beide Gebäude die örtliche Schulgeschichte dokumentieren. „Viele Degerlocher sind hier zur Schule gegangen“, sagt Doka: „Das Gebäude Große Falterstraße 18 war das dritte Schulgebäude in Degerloch.“ Er kann auch kaum glauben, dass das Gebäude so stark geschädigt sein soll, dass eine Sanierung unmöglich ist.

Willen der Stadt zum Erhalt historischer Substanz wird vermisst

Eine Degerlocher Kunsthistorikerin, die hofft, dass die Gebäude nicht abgerissen werden, vermisst den Willen der Stadt, die historische Substanz zu erhalten. Vielleicht, so ihr Urteil, mag eine Sanierung wirtschaftlich schwierig darstellbar sein. Aber gerade Gebäude in Fachwerkbauweise seien – wenn es den Willen gibt – gut instandzusetzen. Freilich habe das seinen Preis. Doka sieht es ähnlich – und ist damit auf einer Linie mit vielen Degerlocher Bürgern, die – trotz bestehenden Wohnraummangels – das Bild um die Michaelskirche nicht weiter modernisiert wissen wollen. Möglicherweise soll sogar eine Initiative gegen das Vorhaben organisiert werden.

Viele Reaktionen auf „Abriss Watch Stuttgart“

Im Internet hat unsere Berichterstattung jedenfalls auf der Facebook-Seite „Abriss Watch Stuttgart“ viele Reaktionen ausgelöst. Es sei „das übliche Spiel“ schreibt ein Nutzer. „Weil eine Sanierung des Gebäudes im Vergleich zu einem Neubau wirtschaftlich nicht tragbar“ sei, „stirbt wieder ein Stück Heimat im schleichenden Prozess. Und es stellt sich die Frage, ob das Landesdenkmalamt die Häuser auf ihre historische Bedeutung untersucht hat“. Ein anderer Nutzer kommt zu dem Urteil: „Es ist eine Schande, wenn die Stadt mit schlechtem Beispiel vorangeht – und es wundert einen überhaupt nicht, wie es in dieser Stadt aussieht und welche Wertigkeit die ältere Bausubstanz im Allgemeinen hat.“ Und eine Böblingerin urteilt in ihrem Statement: „Stuttgart hat genügend verheerende Abrisse von Altbauten zu verantworten. Dabei ginge es auch anders.“ Dies machten andere Städte wie Wien oder Zürich vor. Die entsprechende Empfehlung eines Nutzers, der den Abriss gerne verhindern möchte: „Lasst uns Druck machen!“