Der einstige EU-Kommissar aus Ditzingen spricht über Flüchtlinge und einen Entschluss im Badezimmer. Er ist zu Gast in seiner Heimat – an einem Ort, der ihm wohlbekannt ist.

Ditzingen - Es gibt einen Moment am Montagabend im Bürgersaal, in dem Günther Oettinger in Gedanken ganz offensichtlich viele Jahre zurück ist, in einer Zeit, in der er Gemeinderat in Ditzingen war. Es huscht ein amüsiertes Lachen über sein Gesicht als er nonverbal mit den Gästen in der ersten Reihe kommuniziert, unter ihnen Horst Ludewig, der Stadtrat der Freidemokraten.

 

Oettinger war am Montag zu Gast beim 300. Kulturtreff im Ditzinger Bürgersaal. Gastgeber dieser Veranstaltungsreihe ist seit jeher, seit 25 Jahren – und somit auch an diesem Abend – Dieter Schnabel. Wie Ludewig sitzt auch Schnabel, der streitbare Unabhängige Bürger, seit Jahrzehnten im Gemeinderat.

Anekdoten aus einer anderen Zeit

Der Ditzinger nimmt an diesem Abend also in einem weitgehend vertrauten Rahmen auf dem Podium Platz. Doch erst die Begrüßung des Oberbürgermeister Michael Makurath schafft die Atmosphäre, die in den folgenden anderthalb Stunden ebenso Raum lässt für Frotzeleien über frühere Zeiten als auch für das eigentliche Thema des Abends, Europa. Er verzichte in diesen Zeiten auf das Händeschütteln als Zeichen des Dankes, sagte Makurath also an Schnabel gewandt. Dafür, so der Rathauschef weiter, „schenke ich Ihnen ein Lächeln. Das mache ich auch nicht immer, aber heute von Herzen“.

Makurath signalisierte damit auch, dass Platz sein würde für heitere Anmerkungen zu den Begebenheiten am Rande der Politik. Ob es stimme, dass er in der Badewanne in Wien die Entscheidung getroffen habe, nach Brüssel zu wechseln, fragt Schnabel dann auch. Er habe sich tatsächlich in Wien aufgehalten, als er an einem Nachmittag nach der Bundestagswahl 2009 den Anruf der Kanzlerin erhielt, die wissen wollte, ob er sich einen Wechsel nach Brüssel vorstellen könne. „Normalerweise hat man für so eine Entscheidung zwei Wochen. Die Kanzlerin wollte sie bis morgen früh“. Er fragte Freunde, anderntags „um acht kam der Anruf“. „Ich würde mich zeitlebens ärgern, es nicht gemacht zu haben“, sagt Oettinger rückblickend. Er lässt keinen Zweifel daran, dass die Zukunft Deutschlands in Europa liegt: „Glaubt Ihr wirklich, dass Ditzingen, dass Deutschland noch vorkommt?“, fragt er. „Vergesst es!“, ruft er den rund hundert Gästen energisch zu. „Wenn wir in der Welt von morgen noch relevant sein wollen, dann nur mit einer starken EU. Alles andere wird nicht mehr wahrnehmbar sein“, sagt er mit Blick auf USA und China, Putin und auch Erdogan.

Bei Bedarf auch deutlich in der Replik

Die Ditzinger hören dem Europapolitiker zu, der doch immer einer von ihnen geblieben ist, der mit Schnabel über Tennisspiele redet und Skatrunden nach den Gemeinderatssitzungen. Und sie spenden ihm Beifall, als er für eine „Partnerschaft mit Afrika“ wirbt, um jenen eine Perspektive zu geben, „denen wir diese durch Sklaverei, Ausbeutung und willkürliche Grenzziehung vermiest haben“. Auf Schnabels Anmerkung, er sei damit ja wohl ein „einsamer Rufer in der Wüste“ kritisiert er die „national geprägten Debatten“ etwa über das Gute Kita Gesetz als „reine Gegenwartsdebatten der Umverteilung“ und stellt fest: „Wir diskutieren die Welt zu wenig.“ Oder ist es doch vielmehr eine Mahnung, eine Aufforderung auch?

Nicht jeder im Publikum teilt an diesem Abend die Meinung des prominenten Gastes. Oettinger, der als ehemaliger Ministerpräsident zudem auf dem politischen Parkett von Land und Bund zuhause ist, bleibt an diesem Abend verbindlich im Ton, was die Wirkung seiner Aussagen noch verschärft. Dem ist Polemik zuwider, da ist er dann genauso deutlich: „Sie haben schon eine sehr gefestigte Meinung“, lässt er einen Gast nach dessen Wortbeitrag wissen.