Neben den Schrotthügeln am ehemaligen Güterbahnhof arbeiten neuerdings Kreative- In mehreren Gebäuden des Recyclingunternehmens haben Existenzgründer und Künstler Platz gefunden.

Feuerbach - Vor einem Jahr zogen Stephan Karle und die rund 50 Mitarbeiter der gleichnamigen Recyclingfirma auf das ehemalige Güterbahnhof-Gelände nach Feuerbach. Dort hat Karle ein rund 15 000 großes Areal gekauft. Den Standort am Nordbahnhof musste er wegen Stuttgart 21 aufgeben. Der Pachtvertrag lief Ende 2012 aus. Seitdem betreibt der agile Unternehmer sein Geschäft von Feuerbach aus. Sein Betrieb ist nahe der Wernerstraße angesiedelt – nur einige Meter von Bosch und dem Feuerbacher Bahnhof entfernt.

 

Bunte Mischung auf dem Gelände

Inzwischen sind ihm auf sein neues Gelände eine Reihe kleinerer Start-up-Unternehmer, Existenzgründer und Künstler gefolgt. Manche hatten früher auch am Nordbahnhof und in den Wagenhallen ihre Studios und Ateliers und waren auf der Suche nach neuen Räumlichkeiten. „Auf unserem Gelände hatte es Platz, weil wir einige Gebäude derzeit nicht nutzen“, sagt Karle. Diese potenzielle Erweiterungsfläche für seinen Betrieb hat der Geschäftsführer inzwischen an rund 30 Kreative und Gründer vermietet: „Die Bandbreite der Aktivitäten in den Gebäuden und die Vielfalt der Nutzungen ist enorm“, sagt Karle. Sie reicht vom Dienstleister „Global Flow“, der für Betriebe umweltfreundliche Konzepte zur Abfallentsorgung entwickelt, und erstreckt sich bis zum Betreiber einer Kaffeerösterei oder den Produzenten eines sozialen Modelabels, der durch den Druck und den Vertrieb fair gehandelter Textilien Grundschulen in Tansania unterstützt.

Bekannte kreative Köpfe sind ebenfalls mit von der Partie: Der Fotograf Lutz Schelhorn hat auf dem ehemaligen Schick-Areal genauso Räume gefunden wie Toningenieur Klaus Scharff und der Künstler Wolfgang Seitz. Er realisiert seit Jahren mit Jugendlichen Kunstprojekte und Workshops: „Die Rhythmusmaschine der Fantasie, Schatzsuchmaschine, Gong oder Glücksmaschine waren Projekte, die ich in ganz Deutschland verwirklicht habe“, sagt Seitz. Im Sommer 2009 hat er mit 500 Jugendlichen im Hallschlag aus einem alten Auto die „Auto Mobile Stadtteil Skulptur“ geschaffen. Ein Volvo 940 wurde zerlegt, um daraus etwas Neues zu schaffen.

Neue künstlerische Impulse und Anregungen

Was geschieht, wenn Kreative und Künstler die etablierten Orte verlassen und die industriellen Randbezirke der Stadt für sich entdecken, können Interessierte auch an ganz anderen Stellen in Feuerbach beobachten. Es gibt eine Reihe weiterer Areale wie zum Beispiel das MKI-Gelände an der Junghansstraße oder neuerdings auch das ehemalige Behr-Werk 8 an der Siemensstraße, auf denen sich neue Nutzer tummeln. Andrea Klöber sieht diese Entwicklung mit Spannung und Freude: „Wenn sich in unserem Stadtbezirk so viel Kreativpotenzial versammelt, ist das doch wunderbar“, sagt die Feuerbacher Bezirksvorsteherin. Sie denkt schon an kommende Kulturnächte mit interessanten neuen künstlerischen Impulsen und Anregungen – ausgelöst durch die neu Zugezogenen.

Apropos neue Anregungen. Letztere spürt auch Wolfgang Seitz, der kürzlich am hintersten Ende der Friedrich-Scholer-Straße 13/1 auf dem Karle-Areal seine Kunsthalle eröffnet hat. Einen besseren Ort für sein Projekt kann er sich kaum vorstellen. „Die Kunsthalle ist ein Atelier und eine Plattform für experimentelle Kunstbegegnung, sowie ein Ort für Projekte, Workshops, Feste und Firmen-Events“, sagt er. Allein die Umgebung bietet viel In-spiration: Die Rangiergeräusche der Industriebahn, das Gerumpel der Güterzüge auf dem nahen Gleisfeld, das schnelle Vorbeizischen der ICEs und Regionalzüge schaffen eine unverwechselbare Atmosphäre. Zwischen dem Gleisfeld und dem geschäftigen Treiben auf dem Areal steht verlassen ein altes Bahnwärterhäuschen. Der nächste ernsthafte Sturm könnte das windschiefe Gebäude vom gemauerten Sockel pusten. Er habe sich in diesen „Unort der Möglichkeiten und Visionen verliebt. Das ist wie New York hier“, sagt Seitz.

„Gegenstück zu all den städtisch glattgebügelten Plätzen“

Nicht nur inspirativ, auch materialmäßig sitzt der Künstler hier an der Quelle. Für den früheren Betreiber der Galerie Eigen.art im Stuttgarter Norden sind all diese aussortierten und auch weggeworfenen Dinge eine kreative Fundgrube. Aus Schrotteilen geschweißte Arbeiten bewachen auch den Hof vor seiner Kunsthalle. Rückzugsorte wie diese sind rar im flurbereinigten urbanen Raum – und daher sehr wertvoll, findet Seitz. „Sie sind das Gegenstück zu all den städtisch glattgebügelten Plätzen. Mich fasziniert der Kontext, in dem Kunst außerhalb der ihr zugeschriebenen Orte stattfinden kann.“