Wie andere Leute den Tod verdrängen, schob der ehemalige Stuttgarter Balletttänzer Randy Diamond lange jeden Gedanken an das Karriere-Ende beiseite. Das Aus erwischt ihn deshalb eiskalt. Doch dann entdeckte er seine Liebe zum Musical.

Stuttgart - Die Schultern straff nach unten gezogen, die Brust stolz gereckt: Randy Diamond, früher Erster Solist am Stuttgarter Ballett, heute gefragter Musicaldarsteller, latscht nicht einfach über die Straße. Er geht; und zwar mit Haltung. Daran hindern ihn auch nicht die lässigen Flip-Flop-Sandalen, die bei jedem anderen Menschen einen halbwegs eleganten Gang sofort ruinieren würden. Diese besondere, absolut authentisch wirkende Präsenz ist allerdings ein Ergebnis jahrelangen Trainings.

 

Ohne das Stuttgarter Ballett, das einmal mit John Crankos legendärer Choreografie von „Romeo und Julia“ in New Jersey Station machte, wäre der in Ohio geborene Randy Diamond vielleicht nie auf die Idee gekommen, sich dem klassischen Tanz zuzuwenden.

Als Zwölfjähriger lässt er sich widerwillig von den Eltern in die Vorstellung schleifen. Als sich der Vorhang hebt und die Musik beginnt, ist er sofort fasziniert. „Diese Farben, diese Lichter! Ich habe gesehen, wie die Männer springen und drehen und die Frauen heben. Die ganze Athletik, der Schweiß! Das hat mich beeindruckt.“ Kurze Zeit später meldet sein Vater den Sohn in einer Ballettschule an. Den Freunden erzählt Randy damals noch nicht, dass er tanzt, aus Furcht vor Hänseleien. Aber die Art, wie Cranko im Ballett lebendige Geschichten erzählte, gefiel dem Jungen. Die anfängliche Langeweile des Trainings nimmt er deshalb hin. „Zuerst ist es furchtbar eintönig. Du lernst, zu stehen, die einzelnen Positionen. Aber dann haben wir Pirouetten gelernt, und ich habe gedacht: Entweder ich gehe nach New York an eine große Schule, oder ich höre auf!“

Wunderkind und schwarzes Schaf

Obwohl sein Körper nicht alle Voraussetzungen erfüllt, wird Diamond zuerst an einer privaten Tanzschule angenommen, später erhält er ein Stipendium am „Harkness House“, einer renommierten Institution mit Sitz an der Upper East Side. Mit vierzehn pendelt Randy Diamond täglich zwischen New Jersey und New York. „Ich habe es nicht bemerkt, wie schwer es eigentlich war, damals, aber wenn ich jetzt zurückblicke, war es ziemlich heftig“, findet er.

Aber es sei immer sein Wunsch gewesen, für das Stuttgarter Ballett zu tanzen. Als er für die Cranko-Schule vortanzt, wird er prompt genommen und zieht alleine nach Deutschland. In dieser Zeit muss er sich durchbeißen, die Schule ist hart. „Ich galt immer als das schwarze Schaf,“ erzählt er. Nach der Ausbildung bietet ihm der aufstrebende John Neumeier einen Vertrag an. Als das Stuttgarter Ballett ihn doch haben will, sagt er Neumeier und dessen Hamburger Ballett ab.

„Es war eine tolle Zeit beim Stuttgarter Ballett. Gut, wir hatten ein paar Ups and Downs, aber insgesamt war es toll.“

Wie andere Leute den eigenen Tod verdrängen, habe er jeden Gedanken an das Karriere-Ende beiseite geschoben. Solange man jung und fit sei, denke man einfach nicht daran. Das Aus erwischt ihn deshalb eiskalt. Durch einen Bandscheibenvorfall kann er nicht mehr springen. Komplizierte Hebungen sind erst recht passé. Ein Jahr dauert es, bis er zur Kompanie zurückkehrt. Die Charakterrollen, die er von nun an bekommt, sind für ihn in gewisser Weise ein Rückschritt.

Die Entdeckung der Stimme

Doch schon während seiner Zeit als Solist versucht er sich in einem Musical. Mit seiner Partnerin Birgit Keil tanzt und singt er in „On your Toes“, das seine deutsche Uraufführung 1990 am Forum Ludwigsburg durch das Stuttgarter Ballett feiert. „Da habe ich entdeckt, dass ich singen kann.“

Trotzdem: es dauert eine Weile, bis Randy Diamond endgültig zum Musical findet. Unterstützung? Fehlanzeige. „Du bist völlig allein!“ Gerettet habe ihn Pierre Wyss, der selbst früher in Stuttgart tanzte und später als Ballettdirektor nach Braunschweig ging. Wyss bietet ihm ein Vorsingen für „Jesus Christ Superstar“ an. Die nächsten Wochen bringt sich Randy Diamond in Eigenregie eine Nummer aus dem Stück bei. „Ich habe gleich das schwerste Lied der Hauptrolle gelernt, ohne Lehrer. Nachts, um drei Uhr auf der Straße, mit dem Walkman.“ Von der Komplexität der Rolle habe er sich nicht abschrecken lassen. „Manchmal ist es gut, wenn du ignorant bist“, sagt er und lacht. Dass er nicht nur Pierre Wyss, sondern auch die anderen beim Vorsingen überzeugen kann, ist ein enormes Glück für ihn.

Von da an geht es gut, bald kann er von seinen Musical-Engagements leben. Obwohl er das Ballett so liebte, denkt er heute, dass er schon früher an einem Plan B hätte arbeiten müssen.

„Wie ich ins Ballett gekommen bin, mit meinem schlechten Körper, ist schon eine Geschichte! Und ich habe noch nie gehört, dass jemand so spät wie ich ohne Unterricht in Schauspiel und Gesang ins Musical kommt.“

Eine zweite, glückliche Karriere also und nicht bloß die zweitbeste Lösung. „Ich wünschte nur, ich hätte meinen Hintern früher hochbekommen“, sagt er noch und lächelt schelmisch.