Warum Hannes Wolf vor der entscheidenden Phase der Saison mit dem Hamburger SV in ein Tief gerutscht ist – und der Wiederaufstieg in die Bundesliga nicht erst seit dem 1:2 gegen den 1. FC Magdeburg am Montagabend akut gefährdet ist.

Sport: Marco Seliger (sem)

Stuttgart/Hamburg - Hamburg ist ein heißes Pflaster. Die Überschriften des Boulevards sind in der Elbmetropole vielleicht noch ein bisschen größer und dicker als anderswo, und wenn der große Club der Stadt verliert, dann gibt es hinterher gerne kurze und knackige Untergangsbotschaften. Am Morgen nach der dann doch recht blamablen 1:2-Heimniederlage des ehemaligen Bundesliga-Dinos in Liga zwei gegen den Abstiegskandidaten 1. FC Magdeburg war es mal wieder so weit. Die „Hamburger Morgenpost“ lief heiß und titelte in riesigen Lettern: „Wollt ihr denn nicht aufsteigen?“ Die „Bild“-Zeitung ging noch einen Schritt weiter: „Dann bleibt doch in der zweiten Liga“, hieß es in der Überschrift. Und überhaupt: „Lächerlich“, „peinlich“ und „erbärmlich“ sei der Auftritt des HSV gewesen.

 

Hannes Wolf, meist ein sehr ausgeglichener und gefasster Mann, nähme solche Worte wohl nur in den Mund, wenn er im kleinen Kreis derlei reißerische Überschriften bewerten sollte. Allerdings: Auch der ehemalige Coach des VfB Stuttgart kann ordentlich aus sich raus gehen - was er am späten Montagabend unter Beweis stellte. Dem Vernehmen nach soll es in der Hamburger Kabine kurz nach dem Schlusspfiff laut gewesen sein. Wolf knöpfte sich seine Spieler vor. Er war stocksauer.

Aus guten Gründen.

Der HSV ist zwar noch immer Tabellenzweiter und hat im Aufstiegsrennen alles in der eigenen Hand, obendrein steht er im DFB-Pokal-Halbfinale gegen RB Leipzig. Die Fakten stimmen. Was man vom Rest aber eher weniger behaupten kann. Die Stimmung rund um den Club ist gerade eher so, als ginge es in Liga eins wie in den vergangenen Jahren schon wieder gegen den Abstieg. Denn das Polster auf den Aufstiegs-Relegationsplatz ist nun nach einer Reihe mehr als dürftiger Leistungen auf drei Punkte geschmolzen. Und nur 14 Punkte in zehn Partien 2019 sind nicht das Resultat einer kleinen Delle, sondern einer Krise.

Wolf hat intern die totale Rückendeckung

Beim HSV ist es, wenn man so will, vielleicht gerade ein bisschen so wie beim VfB eine Liga drüber: Die Stuttgarter halten sich ja mit ihrer kümmerlichen Punkteausbeute nur auf Platz 16, weil es tatsächlich noch zwei schwächere Teams dahinter gibt. Der HSV wiederum bleibt Zweiter, weil die Teams dahinter seit Monaten nicht dauerhaft vom Fleck kommen.

Und Hannes Wolf? Der muss sich trotz der negativen Tendenz in der Rückrunde keinerlei Sorgen machen. Er sitzt so fest im Sattel, wie ein Trainer nur im Sattel sitzen kann. Das bekräftige der Clubchef Bernd Hoffmann noch vor ein paar Tagen bei einer Podiumsdiskussion zur Zukunft des HSV an der Außenalster. Die rund 200 Mitglieder des recht exklusiven Übersee-Clubs, in dem die sonst geltende hanseatisch-vornehme Krawattenpflicht für den Fußballtalkabend allerdings aufgehoben wurde, bekamen im Amsinck-Haus deutliche Botschaften zu hören. „Wir werden im Oktober in der Bundesliga oder in der zweiten Liga eine Krise haben. Und anders als sonst werden wir den Trainer dann nicht wechseln“, sagte Hoffmann und ergänzte, dass man ihn dann sehr gerne auf diese Aussage festnageln dürfe. Hoffmann wurde übrigens gar nicht zum Trainer befragt, er setzte seine Botschaft aus eigenem Antrieb. Sportvorstand Ralf Becker wählte vor ein paar Wochen bei der Mitgliederversammlung ähnliche Worte und stärkte den Coach, wo er es nur konnte.

Einige Fans sehen den Coach kritisch

Hannes Wolf also ist intern unumstritten – in der Außenwahrnehmung allerdings hat sich der Wind in den vergangenen Wochen ein wenig gedreht. Denn so strukturiert der HSV nach Wolfs Amtsübernahme im vergangenen Oktober zunächst noch wirkte, so wirr sind die Auftritte meist in der Rückrunde. Im Fußballjahr 2019 sind im HSV-Spiel eher Rück- als Fortschritte zu erkennen. Und auch der Trainer machte zuletzt einige handwerkliche Fehler. So lag er in den vergangenen Wochen mit seinen Aus- und Einwechslungen in schöner Regelmäßigkeit daneben – ebenso wie in der taktischen Ausrichtung. So etwa schickte Wolf sein Team gegen Magdeburg mit der gleichen defensiven Taktik ins Rennen wie zuvor im Pokal-Viertelfinale beim offensivstarken SC Paderborn (2:0). Dass das Kellerkind Magdeburg aber selbst eher aus der Defensive kommt und weniger spielstark als Paderborn ist, ließ Wolf unberücksichtigt.

Einige Fans des HSV sehen den Coach bereits kritisch – der Ruf nach Wolfs allseits beliebtem Vorgänger Christian Titz hallt seit Wochen konstant durchs Netz, stets verbunden mit der Ansicht, dass man das mit dem Titz doch mindestens genausogut hingekriegt hätte.

Am Montag geht es zum 1. FC Köln

Wolf allerdings hat auch mit einem Problem zu kämpfen, das er wohl nur bedingt zu verantworten hat. Denn der HSV hat vielleicht so etwas wie das Bayern-Syndrom von dieser Saison. Die Münchner Rekordmeister raffen sich ja gerne nur mal in den großen Spielen wie zuletzt gegen Borussia Dortmund (5:0) zu Höchstleistungen auf. Beim HSV ist ein ähnlicher Trend zu beobachten. Als es vor ein paar Wochen im großen Stadtduell am Millerntor gegen den FC St. Pauli ging, waren Wolfs Jungs da und demütigten den Rivalen mit 4:0. Ähnlich stark war die Leistung vor einer Woche im Pokal-Viertelfinale von Paderborn. Wenn es allerdings gegen kleine Teams in der zweiten Liga geht, dann erleidet Hamburg gerne mal Schiffbruch, vor allem zuhause.

Fakt ist: Der fest einkalkulierte Aufstieg des HSV ist deshalb ernsthaft in Gefahr. Am Montag geht es zum souveränen Spitzenreiter 1. FC Köln, das nächste Auswärtsspiel steigt dann beim Tabellendritten 1. FC Union Berlin. Die Weichen werden gestellt. „Ich bin der Letzte, der hier den Optimismus verliert“, sagte Hannes Wolf am Montagabend, „aber natürlich tut das gerade weh – auch mir.“