Für das künftige Bietigheimer Wohn- und Gewerbegebiet Bogenviertel geht es an die Feinplanung. Als Zielgruppe hat die Stadt Menschen ohne eigenes Auto im Blick.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Bietigheim-Bissingen - Ambitioniert sind die Pläne für die Bebauung des Bietigheimer Bahnbogens, die bei Stadträten gern als Jahrhundertprojekt bezeichnet wird. Mancher hält die Konzepte für zu ambitioniert, zumindest was das Ansinnen angeht, möglichst wenig Autoverkehr im künftigen Wohn- und Gewerbegebiet zuzulassen. Die FDP weigerte sich deshalb am Dienstag sogar, den Beschluss für den Realisierungswettbewerb des künftigen „Bogenviertels“ mitzutragen, der den sechs im Wettbewerb verbliebenen Architekturbüros noch einmal verfeinerte Vorgaben für die Planung mit auf den Weg geben soll.

 

Wo die alteingesessene Firma DLW jahrzehntelang Bodenbeläge fertigte, will Bietigheim-Bissingen nach der Schließung dieses Standorts auf 8,5 Hektar zukunftsgerichtetes Wohnen und Arbeiten ermöglichen. Oberbürgermeister Jürgen Kessing betonte, die Stadt wolle mit diesem Angebot „auch bewusst auf die zugehen, die auf ein Fahrzeug verzichten.“ An keiner Stelle in der Stadt falle der Verzicht leichter als auf dem ehemaligen DLW-Areal.

Das Gelände liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Bahnhof, gewünscht ist eine störungsfreie Querung der B 27 für Fußgänger und Radler. Mit dem Bauprojekt will sich Bietigheim auch für die Internationalen Bauausstellung 2027 in Stuttgart bewerben. Mit innovativen Ansätzen für ein solches Vorhaben, meint der OB, müsse auch der Anspruch einhergehen, Anreize zu setzen – „und zwar dafür, dass erst gar kein zusätzlicher Verkehr entsteht“.

Parken auf öffentlichem Straßenraum ist nicht vorgesehen

Das soll unter anderem mit einem sehr eingeschränkten Angebot an Parkplätzen erreicht werden. Auf den öffentlichen Straßen im Areal sollen möglichst keine Fahrzeuge abgestellt werden. Es wird ein Parkhaus geben, und es sind Tiefgaragen geplant. Diese sollen aber, damit die Baukosten und damit die späteren Kosten für die Wohnungen bezahlbar bleiben, nur eingeschossig sein und den Besitzern von Eigentumswohnungen vorbehalten bleiben.

In Bezug auf Stellplätze für Mietwohnungen ist die Stadt rigide: Für Ein- bis Zwei-Zimmer-Wohnungen (gedacht für Wochenendpendler oder Singles) sind 0,4 Stellplätze pro Wohneinheit vorgesehen, für Paar-Haushalte in Zwei- oder Dreizimmerwohnungen 0,8. Der Schlüssel für Senioren-Haushalte liegt bei 0,3, während Familien in Drei- bis Fünf-Zimmer-Wohnungen ein ganzer Stellplatz je Wohneinheit zugeteilt werden soll. Für Wohnformen wie WGs oder Betreutes Wohnen sieht das Konzept 0,5 Plätze pro Einheit vor. Wer im sogenannten bezahlbaren Segment wohnen will, muss einen weiteren Abschlag um 0,5 bei der Stellplatzkalkulation hinnehmen.

Der Tenor: Das Vorhaben ist ehrgeizig, aber richtig

Gerade letztere Regelung findet der FDP-Stadtrat Götz Noller „anstößig“: „Ein halber Stellplatz für eine Familie: Willkommen beim neuen Wohnen in Bietigheim-Bissingen.“ Sein Freie-Wähler-Kollege Stephan Muck konterte: „Wir müssen auf den ÖPNV setzen, und auf den setzt man nur, wenn kein Auto da ist.“ Dass der Individualverkehr im Großraum Stuttgart kollabiere, bekomme man jeden Tag zu spüren. Von den Liberalen abgesehen, lautete der Tenor bei allen Gemeinderatsfraktionen, die Vorgaben seien zwar ehrgeizig, aber grundsätzlich richtig.

Auf einer Fläche von 17 Fußballfeldern im künftigen Bogenviertel sollen sich Wohnen und Gewerbe die Waage halten. Auch beim Wohnen wiederum soll das Verhältnis zwischen Miet- und Eigentumswohnungen 50 zu 50 betragen. Etwa 40 Prozent der Mietwohnungen sollen Gering- und Mittelverdienern vorbehalten sein. Bebaut werden soll das Areal so verdichtet, dass möglichst viele Menschen dort ein Zuhause finden können, gleichzeitig aber genügend Platz für Grünflächen, Freizeitangebote und Begegnung bleibt.

Wie das im Detail aussehen wird? Da könne man, so Kessing, „gelassen abwarten, was die Planer präsentieren“. Im November bestimmt ein Preisgericht den Sieger des Architektenwettbewerbs.