Während der Corona-Krise mussten viele Ehepaare den Alltag zu Hause bewältigen – für nicht wenige offenbar eine zu große Belastung. Die Scheidungszahlen in Deutschland sind rasant in die Höhe geschnellt.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Berlin - Die Zahl der Scheidungen wird sich in Deutschland infolge der Corona-Einschränkungen voraussichtlich um ein Fünffaches erhöhen. Dies zeigt eine repräsentative Umfrage des Berliner Meinungsforschungsinstituts Civey. „Nicht nur die Ergebnisse dieser Scheidungsumfrage, sondern auch die bereits stark erhöhte Nachfrage in den Rechtsanwaltskanzleien lassen diesen Schluss zu“, sagt die Berliner Familienrechtlerin Alicia von Rosenberg, in deren Auftrag die Umfrage erfolgte.

 

Im Wesentlichen gebe es zwei Gruppen von Scheidungswilligen, erklärt Rosenberg: Zum einen Paare, bei denen der „räumliche Einschluss“ und die Enge der Wohnsituation der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe. Zum anderen länger getrennte Paare, die durch das erzwungene Innehalten nun ihre Verhältnisse ordnen und mit dem Kapitel Ehe abschließen möchten. Laut Umfrage fassten zwischen Ende März und Ende Mai 2020 insgesamt 2,2 Prozent der Befragten die Entscheidung, sich scheiden zu lassen. Im gleichen Zeitraum 2018 seien es nur 0,42 Prozent aller Verheirateten gewesen.

Ehen werden immer vom Familiengericht geschieden

„Die meisten Eheleute gingen dabei besonnen miteinander um“, sagt die Juristin. Civey hat am 9. und 10. Juni 2500 verheiratete Menschen befragt. „Doch auch die Corona-Pandemie ändert nichts an den gesetzlichen Voraussetzungen einer Scheidung“, betont Alicia von Rosenberg. „Selbst wenn sich die Eheleute weitgehend einig sind, so sind doch eine Reihe von Bedingungen zu erfüllen.“ Der Rechtsanwältin zufolge wird eine Ehe in Deutschland immer von einem Familiengericht geschieden. Das gelte für einvernehmliche Scheidungen und sogar, wenn man sich über die Scheidung und alle Folgesachen wie etwa Unterhalt, Sorgerecht, Zugewinn und Versorgungsausgleich einig ist und diese gegebenenfalls sogar in einer Scheidungsfolgen-Vereinbarung verbindlich geregelt habe.

Der Corona-Trend steht allerdings im Gegensatz zur generellen Entwicklung der Scheidungszahlen in Deutschland. Laut des Statistischen Bundesamts Destatis gibt es hierzulande einen deutlichen Rückgang der Scheidungen. Für insgesamt 148 066 Paare war 2019 offiziell Schluss. Ein Jahr zuvor waren es 148 000 und 2017 noch 153 500 Ehepaare, die durch richterlichen Beschluss geschieden wurden. Damit sind die Ehescheidungen auf dem niedrigsten Stand seit 25 Jahren. Im Jahr 1992 gab es 135 000 Scheidungsfälle in der Bundesrepublik. In Baden-Württemberg ist der Trend gegenläufig: Laut des Statistischen Landesamts gingen hier 2019 18 956 Ehen in die Brüche, drei Prozent mehr als im Jahr davor.

Männer sind bei ihrer Scheidung durchschnittlich 47 alt

Eine geschiedene Ehe dauerte 2019 im Durchschnitt 14,9 Jahre. Damit halten Ehen so lange wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Dies liegt nach Darstellung von Destatis auch daran, dass immer mehr Ehen erst nach der Silberhochzeit geschieden werden und sich somit der Durchschnittswert erhöht. Männer sind bei ihrer Scheidung durchschnittlich knapp 47 alt, Frauen genau drei Jahre jünger. Durchschnittlich waren Paare bei der Scheidung 1991 noch mehr als sieben Jahre jünger. „Allerdings wurde damals auch noch in jüngerem Alter geheiratet“, sagen die Statistiker. Mehr als die Hälfte der geschiedenen Paare hat minderjährige Kinder. Die meisten Scheidungen erfolgen nicht nach dem „verflixten siebten Jahr“, sondern schon nach sechs Jahren Ehe. Nach Angaben von Destatis für das Jahr 2017 (bisher die aktuellste Datenanalyse) ließen sich Ehepaare am häufigsten scheiden, die nach 2011 geheiratet haben. Dies war der höchste Einzelwert mit knapp 8000 Paaren oder 5,1 Prozent.

Frauen reichen häufiger die Scheidung ein

Zusammengerechnet machen aber alle Scheidungen ab dem 25. Ehejahr einen deutlich größeren Anteil aus, dies sind 17,5 Prozent. Frauen reichen demnach häufiger die Scheidung ein: 51,5 Prozent der Anträge wurden 2017 vom weiblichen Partner gestellt. Im Durchschnitt waren sie bei der Scheidung 44 Jahre alt. Ihre Partner waren rund drei Jahre älter. Nur 7,6 Prozent der Trennungsverfahren wurden von beiden Ehepartnern gemeinsam beantragt. Etwa jedes zweite Ehepaar, das sich zu einer Scheidung entschloss, hatte minderjährige Kinder: In 52,5 Prozent der Fälle war es ein Kind, in 37,5 Prozent waren es zwei und in 9,9 Prozent drei oder mehr Kinder. Insgesamt waren 2017 knapp 124 000 Minderjährige von der Scheidung ihrer Eltern betroffen.