Er begleitet die Menschen von der Taufe bis zum Tod: Rainer Schulz sitzt seit 60 Jahren auf der Orgelbank. Und hat, ganz nebenbei, ein zweites Hobby, das ebenfalls mit Pfeifen zu tun hat.

Ditzingen - Er ist niemals krank gewesen. Gott sei Dank nicht. So schnell findet sich am Sonntag dann doch kein Ersatz für einen Organisten im Gottesdienst. Kaum vorstellbar, wenn so etwas dann ausgerechnet auch noch an einem Festtag, Weihnachten etwa, passiert wäre. Rainer Schulz mag sich das gar nicht ausmalen. Er ist ehrlich dankbar dafür, dass er sechs Jahrzehnte lang seinen Dienst verrichten konnte, wann immer er dazu eingeteilt war: „Beine und Hände müssen funktionieren und das Hirn, das alles umsetzt.“

 

Am vergangenen Wochenende ist Rainer Schulz für 60 Jahre Organistendienst gewürdigt worden. Er spielte in der Gerlinger Petruskirche, er spielte für 150 Gottesdienstbesucher. Aber spielte er nicht auch wie in einem Konzert vor 150 Kirchgängern? Es freue einen schon, wenn er am Ende Applaus für sein Spiel erhalte, räumt Schulz ein. Doch bedeutender sei, dass er den Menschen eine Freude machen könne.

Manche Zuhörer begegnen ihm zweimal am Tag

Manch einem ist er an einem Tag gleich zweimal begegnet. Erst traute der Standesbeamte das Ehepaar in Ditzingen, später spielte er bei ihrer Trauung in der Kirche. Schulz macht nicht viele Worte darum, aber es ist ihm schon auch eine Ehre, an so einem besonderen Tag dabei sein zu dürfen. Für ihn ist es deshalb selbstverständlich, dass er seinen Dienst auch an der Orgel gewissenhaft verrichtet – nicht nur weil er sein Berufsleben lang Beamter war, sondern weil er seinen Beitrag leisten will, anderen einen schönen Tag zu bereiten.

Dabei ist er durch die Moden der Musik gegangen. Ave Verum, Ave Maria – das sind die Stücke, die er heute bei Goldenen Hochzeiten spielt. Später kam die Gospelmusik in Mode. Da konnte der Organist nicht so viel beitragen. „Das kann die Orgel nicht begleiten“, stellt er fest. Die Notenliteratur wurde moderner, er ging selbstverständlich mit: „Entscheidend ist, was den Leuten gefällt.“ Auch manches Klavierstück arbeitete er für Orgel um.

Ein Marsch für den Bundespräsidenten

Dass er auch mal einen Marsch spielte, war allerdings der Not geschuldet. Im Jahr 1958 war das, in Kirchberg an der Jagst. Sein Vater war dort als Organist tätig. Er, ein 14-jähriger Bub, hatte bei ihm einiges gelernt, spielte unter anderem bei Taufen. Aber alles Können half nicht, um an das Pedal herunterzureichen. Dafür war er einfach noch nicht groß genug, die Beine waren zu kurz. Er beherrschte nur das Manual. Daran änderte sich auch nichts, als der damalige Bundespräsident Theodor Heuss zu Besuch kam. Weil der Vater verhindert war, hatte der Sohn vorzuspielen. „Ich spielte einen Marsch.“ Ohne Pedal. Heuss soll es gefallen haben.

1969 kam Rainer Schulz nach Ditzingen, seit Anfang der 1970er Jahren spielt der heute 74-Jährige Orgel in der Region Stuttgart. In Stuttgart-Weilimdorf, später in Ditzingen und seinen Ortsteilen sowie in Gerlingen. 25 verschiedene Orgeln hat er in dieser Zeit kennen gelernt.

Gerlingen lernte er über die Jahre hinweg besonders schätzen, in der Petruskirche hat er 27 Jahre lang gespielt. Dort wurde er am vergangenen Wochenende auch geehrt. Heute ist er nur noch sporadisch im Einsatz. Als Springer. Doch auch dafür hält er sich weiterhin fit. Beim Fahrradfahren und auf dem Fußballplatz. Noch immer pfeift er Spiele in der Kreisliga B.

Im nächsten Jahr, so schätzt er, könnte er sein 2222. Spiel anpfeifen. Vorausgesetzt die Gesundheit macht mit und die Freude am Spiel bleibt ihm erhalten. Das ist ihm wichtig, denn die Freude an der Tätigkeit habe ihn immer getragen, erzählt er . Wenn die nicht mehr da gewesen wäre – ob als Organist im Strohgäu oder Schiedsrichter in der Region – er hätte den Pfeifen längst den Rücken gekehrt.