Begegnung mit einem Weltpolitiker: „Human Projects“ würdigt den Vater von Glasnost.

Leonberg/Moskau - Das war schon dramatisch. Da sitzt mir ein Mann gegenüber, der Weltgeschichte gemacht hat und wendet sich in seiner Rede direkt an den US- Präsidenten.“ Noch immer bekommt Karsten Enz ein wenig Gänsehaut, wenn er an seine Begegnung mit Michail Gorbatschow vor einigen Tagen in Moskau denkt.

 

Der Chef der gemeinnützigen Gesellschaft „Human Projects“ war mit seiner Geschäftspartnerin Laura Binder eigens von Leonberg nach Moskau gereist, um dem einstigen Partei- und Staatschef der Sowjetunion den „Leonberger Löwen“ zu überreichen – ein Ehrenpreis, mit dem Gorbatschows Engagement für das Ende des Kalten Krieges gewürdigt wird. Denn ohne den mutigen Kreml-Politiker wäre der Eiserne Vorhang, der Ost und West Jahrzehnte getrennt hatte, wohl nie gefallen.

Beharrliche Arbeit

Ein Preis aus Leonberg für einen der wichtigsten Männer der Zeitgeschichte? Das mag auf den ersten Blick etwas merkwürdig klingen, ist aber das Ergebnis einer begeisterten wie beharrlichen Arbeit von Enz und Binder, die mit vielen Kontakten und Ausdauer etliche Prominente als Unterstützer gewonnen haben.

Etwa den früheren Fernsehjournalisten Franz Alt, der in den Achtzigern mit kritischen Reportagen nicht nur den Kanzler Helmut Kohl verärgert hatte. Unlängst hat Alt gemeinsam mit Gorbatschow und dessen langjähriger deutschen Dolmetscherin Marina Cronauer an einem Buch mit dem eindeutigen wie   nach   wie  vor   aktuellen Titel „Nie wieder     Krieg!“ gearbeitet.

Die Leonberger nutzten ihre Verbindungen zu Alt und Cronauer, um wiederum Kontakt zum Friedensnobelpreisträger zu bekommen, der mittlerweile eine Stiftung gegründet hat und sich nach wie vor zur aktuellen Politik äußert. Auch die deutsche Botschaft in Russland wurde informiert.

Post aus Moskau

Und siehe da: Im Spätsommer erhielten die Leonberg Post aus Moskau. Michail Gorbatschow bedankte sich für die Auszeichnung und lud die Aktiven von „Human Projects“ in die russische Hauptstadt ein. Er selbst könne leider nicht nach Leonberg kommen, bedauert der 86-Jährige. Der Arzt hat ihm das Fliegen verboten.

Also brachen Karsten Enz, seine Lebensgefährtin Antje Binder-Stohrer und deren Tochter Laura Binder gemeinsam mit Franz Alt kurz vor der Bundestagswahl in Deutschland an die Moskwa auf, um den Leonberger Löwen an den Vater von Glasnost und Perestroika zu überreichen.

„Die Stadt war voll mit Sicherheitskräften“, schildert Enz seine Eindrücke nach der Ankunft. „Es war mal wieder Bombenalarm.“ Das Treffen mit Gorbatschow war im legendären wie klotzigen Hotel Ukraina anberaumt, einst Sinnbild stalinistischen Größenwahns, heute Teil einer internationale Kette. „Das Hotel war eine einzige Hochsicherheitszone“, erinnert sich Enz. „Überall Wachleute und Kontrollen. Und nicht nur wegen Gorbatschow, sondern permanent.“

Immer noch Morddrohungen

Als der einstige Staatschef den   Preis aus dem fernen   Deutschland erhält, ist die Zahl an Leibwächtern aber besonders hoch. Gorbatschow bekommt noch bis heute Morddrohungen. Viele Alt-Kommunisten machen ihn für den Niedergang des Sowjetimperiums verantwortlich.

Die Zeremonie läuft auf hohem protokollarischen    Niveau ab. Der deutsche Botschafter Rüdiger von Fritsch ist anwesend.

Immer noch ein Friedenspolitiker

Gorbatschow nutzt die starke Medienpräsenz, um sich erneut als Friedenspolitiker zu profilieren. In seiner Dankesrede appelliert der Mann, der einst den US-Präsidenten Roland Reagan mit diplomatischem Geschick zum Dialog gebracht hatte, an die aktuellen Staatsführer Putin und Trump, sich endlich persönlich zu treffen. Gorbatschow ist überzeugt: Nur sie haben den Schlüssel für einen dauerhaften Frieden.

„Er ist trotz seiner angeschlagenen Gesundheit geistig noch fit und wach“, beschreibt Karsten Enz den einstigen Lenker einer Weltmacht. Das Preisgeld von 5000 Euro stiftet Gorbatschow für den Kampf gegen Leukämie. Seine    Frau Raissa war 1999 an Blutkrebs gestorben.