Die Regierung verleiht derzeit auffällig viele Auszeichnungen: an Funktionäre, ehrenamtlich Engagierte und auch an Prominente. Grün-Rot beteuert, dass die Verleihungen sich jedenfalls nicht mit Blick auf die Landtagswahl im März 2016 häuften.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Nun gehört also auch Sonja Schrecklein zum erlauchten Kreis der Ordensträger. Seit wenigen Wochen besitzt die SWR-Moderatorin, die mit ihrem ausgeprägten schwäbischen Dialekt zu einem Markenzeichen des Senders geworden war, das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Überreicht wurde es ihr vom Europaminister Peter Friedrich (SPD), der wortreich die Verdienste der Fernsehfrau würdigte. Faber-Schrecklein – so ihr voller Name – habe nicht nur „die Herzen der Zuschauer erobert“, befand Friedrich, sie zeige auch Herz für die Schwachen in der Gesellschaft. Mit „Herzlichkeit, Elan und Empathie“ unterstütze sie zahlreiche gemeinnützige Projekte, zum Beispiel die Kinderhilfsaktion „Herzenssache“.

 

Schrecklein ist nicht die einzige mehr oder weniger Prominente, die in diesen Tagen Schatulle und Urkunde entgegennehmen darf. Derzeit vergeht kaum eine Woche, in der Vertreter der grün-roten Landesregierung nicht mehrere Orden verteilen, manchmal sogar zwei an einem Tag. Bundesverdienstkreuz am Bande, Bundesverdienstkreuz erster Klasse, Staufermedaille in Gold oder auch mal ein Ehrenprofessor-Titel – dekoriert werden Verdiente aus allen Bereichen der Gesellschaft.

Es werden Funktionäre gewürdigt, oder ein ganzes Lebenswerk

Mal trifft es Funktionäre wie den langjährigen baden-württembergischen Handwerkspräsidenten Joachim Möhrle, der vom Ministerpräsidenten persönlich ausgezeichnet wurde. Winfried Kretschmann pries ihn als „Stimme der Vernunft“ und als Glücksfall für das Land: „Herr Möhrle wollte mit guten Argumenten und nicht durch lautes Getöse überzeugen.“ Mal steht das ehrenamtliche Engagement im Vordergrund wie bei dem Stuttgarter Arbeitsrechtler Stefan Nägele. Ihm bescheinigte Kretschmanns Amtschef Klaus-Peter Murawski „beeindruckendes Engagement für krebskranke Kinder und deren Familien. Der Lohn für Nägeles Einsatz als Förderkreis-Vorsitzender: die Staufermedaille des Landes in Gold.

Mal wird ein ganzes Lebenswerk gewürdigt wie bei Hildegard Hamm-Brücher, der einstigen Grande Dame der FDP. Weil sie sich „mit ganzer Kraft für Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit eingesetzt“ habe, verlieh Kretschmanns Staatsrätin Gisela Erler ihr den Ehrentitel Professor. „Eine Frau in der Politik, die sich für die Rechte von Frauen einsetzte, das ging vielen schon zu weit“, erinnerte sie an Hamm-Brüchers frühes Wirken als Stadträtin in München.

Im Mittelpunkt solcher Ehrungen stehen zwar immer die Geehrten, aber vom Glanz fällt auch auf die Politiker etwas ab, die die Auszeichnungen überreichen. Selbst wenn dies „nur“ im Auftrag des Bundespräsidenten geschieht: jemanden zu loben, der Gutes tut, gereicht auch den Laudatoren zur Ehre. Ist das womöglich eine Erklärung für die auffällige Häufung von Ordensverleihungen in diesen Wochen? Streut die Regierung noch einmal Verdienstkreuze unters Volk, bevor sie sich diesem in wenigen Monaten zur Wiederwahl stellt? Liegt gar eine spezielle Art von Torschlusspanik vor?

Das Staatsministerium sagt, parteipolitische Erwägungen spielten keine Rolle

Nichts von alledem, versichert das Staatsministerium. Gewürdigt würden schließlich Verdienste um das Gemeinwohl, da spielten „parteipolitische Erwägungen keine Rolle“, versichert ein Regierungssprecher. Wahltermine hätten demgemäß auch keinen Einfluss auf den Zeitpunkt der Überreichung. Eine gewisse Häufung solcher Anlässe vor allem vor der Sommerpause und vor Ferien ergebe sich aus ganz praktischen Gründen. Staatliche Auszeichnungen sollten möglichst zeitnah zu den gewürdigten Verdiensten überreicht werden. Bei Orden des Bundes gelte zudem, dass die Namen der Geehrten möglichst vier Monate nach der Verleihung im Bundesanzeiger veröffentlicht werden. Wegen der erforderlichen Vorlaufzeit etwa für den Versand der Einladungen komme es schon mal vor, dass sich Termine ballten.

Einfluss auf die Auswahl der Geehrten nehme das Land ohnehin nur zum Tag des Ehrenamts und beim Landesorden, sagt der Sprecher. Da habe man in dieser Legislaturperiode neben den traditionellen Schwerpunkten weitere Themen berücksichtigt, die der Regierung besonders am Herzen lägen: Bürgerbeteiligung, erneuerbare Energien oder Hilfe für Flüchtlinge zum Beispiel. Ansonsten würden die Initiativen zur Ehrung nicht vom Staatsministerium gesteuert, sondern kämen aus allen Bereichen der Zivilgesellschaft.

Die Statistik widerlegt den Eindruck einer Ordensflut

Auch die Statistik der Regierungszentrale widerspricht dem Eindruck einer Ordensflut. Die Zahl der im Südwesten verliehenen Bundesverdienstkreuze schwankt danach in den vergangenen zehn Jahren zwischen 262 (im Jahr 2008) und 102 (im Jahr 2012); im ersten Halbjahr 2015 waren es erst 30, da gibt es also sogar Nachholbedarf. Mit 25 war die durchschnittliche Zahl der Landesorden – die Spanne reicht von 21 bis 47 – hingegen zum 30. Juni schon fast erreicht. Der Frauenanteil bei den Verdienstkreuzen lag in den zurückliegenden Jahren fast durchweg über jener Mindestquote, die Bundespräsident Horst Köhler einst vorgegeben hatte: 30 Prozent.

Mit dazu beigetragen hat auch Sonja Faber-Schrecklein, die Ende Juni ausgezeichnet wurde. In der Laudatio von Europaminister Friedrich war die Heimattümelei ziemlich dick aufgetragen. Mit ihrem Wirken beim „Spätzle-Sender“ – etwa der Übertragung zahlloser Fasnachts- und Festumzüge – habe sie die „schwäbische Identität in unserem Ländle aufgewertet“.