Strickpullover sind für unseren Kolumnisten ein Graus. Selbst wenn nur die Rede darauf kommt, überfällt ihn ein hundsgemeiner Juckreiz. Aber zum Glück ist er mit seinem Problem nicht allein.

Lokales: Tom Hörner (hör)
Tom Hörner

Stuttgart - Falls Sie es noch nicht gemerkt haben sollten: Es ist verdammt frisch geworden in den vergangenen Tagen da draußen. Mir selbst ist es daran aufgefallen, dass man seit rund einer Woche vergleichsweise wenig Männer in kurzen Hosen sieht.

 

Es ist natürlich nicht so, dass einem gar keine Männer in kurzen Hosen mehr unterkommen. Allein in den vergangenen Tagen waren es in meinen Fall derer vier: Einer saß auf einem Fahrrad und hatte passend zu den Beinkleidern ein T-Shirt an. Ein anderer war joggend unterwegs. Zwei waren frühmorgens dem Anschein nach auf dem Weg zur Arbeit oder zur Schule. Immerhin trugen sie oben herum gefütterte Kleidungsstücke, die man im weitesten Sinn als wintertauglich hätte bezeichnen können. Gerne hätte ich die Kurzhosenträger gefragt, ob ihnen die Kälte eigentlich nichts ausmache. Aber ich musste bei deren Anblick dermaßen schlottern, dass ich keinen Ton herausgebracht hätte.

„Ich könnte dich mir gut in einem Pullover vorstellen“

Dabei werde ich selbst immer wieder gefragt, ob mir nicht kalt sei. Ich weiß nicht, warum mir kalt sein sollte. Nur weil ich winters im Hemd mit hochgekurbelten Ärmeln in einem beheizten mitteleuropäischen Bürohaus sitze? Manchmal bekomme ich von Frauen, die es wohl gut mit mir meinen, Sätze zu hören wie: „Ich glaube, ein Pullover würde dir ganz gut stehen.“ Oder: „Ich könnte mir dich auch in einem Pullover vorstellen.“ Schon bei solchen Bemerkungen bekomme ich eine Gänsehaut, und ein Juckreiz breitet sich aus, der in Windeseile den ganzen Körper erfasst.

Ein Pullunder geht gerade noch

Ich erzähle das nicht, um mich neben all den armen Laktoseintoleranzlern und Zöliakieisten interessant zu machen, aber ja, ich bin Strickwarenallergiker. Pullunder geht gerade noch, so dass ich mir schon überlegt habe, in die FDP einzutreten. Aber Pullover? Ein No-Go. Wer mich in einem Pullover sehen will, müsste mir eine Vollnarkose verpassen. Ob die Ablehnung eher stofflicher oder psychologischer Natur ist, vermag ich nicht zu sagen. Mit den Jahren hat die Aversion auch das Denken erfasst: Pullovertragende Männer kann ich nicht mehr als Geschlechtsgenossen akzeptieren, sie fallen bei mir unter die Geschlechtsbezeichnung divers. Höchstens Ernest Hemingway hätte ich vielleicht im Rollkragenpullover als Kerl durchgehen lassen.

Selbst ein Neoprenanzug wäre für die Katz

Es ist nicht so, dass ich es nie versucht hätte. Immer wieder habe ich mich in einen Pullover gezwängt – aber nach kurzer Zeit wurde das Jucken unerträglich, obwohl ich ein Hemd darunter trug. Ich fürchte, selbst ein Neoprenanzug wäre in meinem Fall für die Katz gewesen. Dabei wäre mein Leben als Pulloverträger bequemer verlaufen. Meine Mutter ist eine begnadete Handarbeiterin, die hätte mich mit Strickwaren versorgen können, die bis ins hohe Alter gereicht hätten. Und natürlich wäre ein weitgeschnittener Pullover auch hilfreich, um den einen oder anderen Schwimmring darunter zu verbergen. In der Theorie denkbar, in der Praxis funktioniert das nicht.

Chris Evans im Strickpullover

Inzwischen weiß ich wenigstens, dass ich mit meiner Aversion gegen Strickpullover nicht allein bin auf diesem Planeten. Im „Zeit-Magazin“ amüsiert sich diese Woche einer der Autoren der Kolumne „Gesellschaftskritik“ über den Hollywoodstar Chris Evans, der sich in seinem jüngsten Film „Knives Out“ mit einem cremefarbenen Pullover mit Zopfmuster von „seiner kuscheligen Seite“ zeigt. Es versteht sich von selbst, dass cremefarbene Pullover mit Zopfmuster derzeit weltweit ausverkauft sind. Wer im Netz nach der heißen Ware Ausschau hält, liest: „Kunden, die sich für diesen Artikel interessieren, interessieren sich auch für die CD Kuschelrock 5456.“

Neulich hatte ich einen Albtraum. Ich sah, wie sich aus meinem regungslos am Boden liegenden Körper ein Schatten löste, aufstieg und in ein Lamm fuhr. Wiedergeburt als Schaf! In dem Fall gäbe es nur eine Lösung: Lammbraten.