Das Wunder von Großaspach: die SG Sonnehof ist in der dritten Liga Zweiter und trifft an diesem Freitag im Spitzenspiel auf Tabellenführer Dresden. Und das, obwohl die meisten Spieler nebenbei arbeiten.

Großaspach - Wenn die beiden aktuellen Tabellen in der Bundesliga und der dritten Liga auch nach dem letzten Spieltag noch so Bestand haben, ist die Sensation perfekt. Anders kann man es kaum ausdrücken, denn dann kommt es nächste Saison in der zweiten Liga tatsächlich zu einem schwäbischen Derby – zwischen dem Aufsteiger SG Sonnenhof Großaspach und dem Absteiger VfB Stuttgart.

 

Das wäre eine Konstellation, die vor wenigen Jahren keiner auch nur im Entferntesten für möglich gehalten hätte. Da kämpfte der VfB noch regelmäßig um den Einzug in die Champions League, während die SG in der Oberliga kickte. Die Entwicklung zeigt jedoch, dass die einen seitdem sehr vieles falsch gemacht haben müssen – und die anderen sehr vieles richtig. Oder um mit dem SG-Trainer Rüdiger Rehm zu sprechen: „Wir gehen unseren Weg.“

Die nächste Etappe sieht jetzt zwar noch keine Partie gegen den VfB vor. Vielmehr findet der nächste Schritt bereits an diesem Freitag (19 Uhr) statt. Dann trifft die SG Sonnenhof auf Dynamo Dresden. Der Tabellenzweite empfängt den Tabellenführer – mehr Spitzenspiel geht ja gar nicht.

Tobias Rühle als Paradebeispiel

Tobias Rühle (24) freut sich auf jeden Fall schon darauf. Er stand einmal beim VfB unter Vertrag, zuerst in der Jugend und danach bis 2011 bei der zweiten Mannschaft. Über Heidenheim und die Stuttgarter Kickers landete der Stürmer vor gut zwei Jahren bei der SG, wo er schnell gemerkt hat, dass dort alles anders ist als er es bisher kannte. Das Modell in Sonnenhof Großaspach ist einmalig im deutschen Profifußball, denn jeder Spieler steht nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes auf zwei Beinen, sondern auch in der übertragenen Bedeutung. So üben fast alle neben dem Fußball noch einen Beruf aus oder studieren. Das ist die Vorgabe des Clubs. „Geht das?“, hat sich zunächst auch Rühle gefragt. Als er noch bei den Kickers war, erkannte er, dass es mit der ganz großen Karriere für ihn vermutlich nichts mehr wird. Dann kam das Angebot der SG. „Es geht“, antwortet Rühle heute.

Jetzt ist sein Tag ausgefüllt. Ziemlich abgehetzt erscheint er auch zu diesem Gesprächstermin, den er in seine kurze Mittagspause gepackt hat. Im Rahmen seiner Ausbildung zum Industriekaufmann musste er morgens an der Berufsschule eine dreistündige BWL-Klausur schreiben. Am Nachmittag geht dann der Unterricht weiter – und abends steht noch Training auf dem Programm. So läuft das dienstags immer ab. Ansonsten arbeitet Rühle morgens, trainiert anschließend und lernt danach noch für die Schule – Stress?

Es habe schon eine Weile gedauert, bis er sich an diese zusätzliche Belastung gewöhnt habe, sagt er, aber inzwischen sei das kein Problem mehr. „Ich komme abends heim und weiß, dass ich etwas geleistet habe. Wenn ich nur einmal am Tag trainiere, werde ich gar nicht richtig wach.“ So wie Rühle sehen es auch die anderen – und auf diese Weise ist die SG ein Vorreiter und ein Beispiel dafür geworden, wie in einem zweigleisigen System sowohl der Fußball als auch der Beruf unter einen Hut zu bringen sind. Ist das dann sogar ein Muster, das Schule machen könnte? „Vielleicht ist das ein Zeichen, das auch andere Vereine registrieren“, sagt Sebastian Schiek, der Sportmanagement an der Dualen Hochschule in Stuttgart studiert und bei der SG in der Abwehr verteidigt.

Dabei gibt es natürlich auch Nachteile. So müssen die Spieler extra Urlaub in ihrer Firma nehmen, wenn weite Auswärtsfahrten anstehen. Zudem kann die SG mit ihrem kleinen Jahresetat (2,85 Millionen Euro) den Spielern finanziell nicht das Gleiche bieten wie die meisten Konkurrenten. „Wir verdienen zwar weniger als andere in der dritten Liga, aber arm sind wir deshalb nicht“, sagt Rühle, für den trotzdem der Fußball und nicht die Ausbildung am Schreibtisch „die Hauptrolle besetzt.“

Training mit Arbeitszeiten abstimmen

Aber manchmal muss man Kompromisse schließen, wenn die Dienstpläne des Arbeitgebers mit den Trainingszeiten kollidieren. Das sei nicht immer einfach, „aber wir haben die Philosophie gemeinsam entworfen und wir setzen sie gemeinsam um“, so Rehm, der weiß, dass die dritte Liga für die SG wirtschaftlich nicht anders zu stemmen ist. Und er vertritt die Überzeugung, dass es wichtig ist, den Spielern eine Perspektive über den Sport hinaus aufzuzeigen.

„Ich sehe den Mehrwert aus dem dualen System“, sagt Schiek schon im Tenor eines Betriebswirts. Die SG würde ihre Strategie auch bei einem Aufstieg fortsetzen, das steht fest. Aber so weit denkt hier keiner. „Wir haben keinen Druck und können unseren Job auf dem Platz ohne Einfluss von außen verrichten“, sagt Rühle, dem es „momentan einfach Spaß macht, auf die Tabelle zu blicken.“