Skispringer David Siegel ist vor einem Jahr in Zakopane schwer gestürzt, jetzt arbeitet er an seinem Comeback – mit Hilfe eines Pastors.

Zakopane - Auch wenn David Siegel nicht vor Ort beim Skisprung-Weltcup in Zakopane sein wird, aus der Distanz ist er dabei. Von der Couch in Titisee-Neustadt wird der 23-Jährige seine Kollegen bei den Wettkämpfen verfolgen und mit Wehmut ein Jahr zurückdenken. Damals gehörte der talentierte Skispringer im Teamwettbewerb erstmals dem deutschen Quartett an. Doch bei der Landung des zweiten Sprungs auf 142,5 Meter stürzte der Junioren-Weltmeister schwer. Diagnose: Kreuzbandriss. Werner Schuster machte der Jury heftige Vorwürfe. „Es gibt Personal, das für die Sicherheit der Sportler zuständig ist“, echauffierte sich der damalige Bundestrainer, „man hat zu viel Risiko genommen, bei einem Rückenwind-Wettkampf und Schanzenrekord mit 143 Metern von Markus Eisenbichler den Anlauf nicht zu verkürzen.“

 

Trotz der schweren Verletzung hat sich Siegel nie Gedanken gemacht, wer Schuld trägt. „Die Antwort macht nichts rückgängig“, sagt der Mann aus Baiersbronn ein Jahr danach. Angeschaut hat er sich seinen Sprung mehrmals. Nicht weil er sich quälen wollte, sondern lernen. „Das war der bis dahin beste Sprung meiner Karriere“, erzählt er, „ich wollte sehen, was ich gemacht habe, um diese Parameter wieder abrufen zu können.“

Körperliche Fitness ist wieder da

Seine Analyse: Der Schwerpunkt sei beim Absprung ein wenig weiter vorne gewesen und im Flug habe er den Kopf weiter zwischen die Schultern gezogen. Dadurch sei er schneller geflogen und weiter gesprungen. „Als die erste Linie kam und ich weit drüber geflogen bin, das war schon ein Schock“, erzählt Siegel. Wegen der hohen Kräfte, die bei der Landung auf seinen Körper gewirkt haben, stürzte er.

Dabei riss das Kreuzband. Wann er das nächste Mal wieder von einer Schanze springen wird, ist offen. Doch mehr und mehr weicht das Rehaprogramm zugunsten eines sportartspezifischen Trainings. Die körperliche Fitness sei zwar schon wieder gut, aber noch nicht auf dem Niveau, auf dem sie sein soll. Das lädierte Kreuzband wurde operativ gerichtet, doch wie verkraftet ein Sportler mental so einen Rückschlag? Schließlich wurde David Siegel mitgeteilt, dass er mindestens ein Jahr pausieren muss. Um dies zu erklären, blickt der Schwarzwälder drei Jahre zurück. Als deutscher Meister 2016 ging er voller Selbstbewusstsein in die Saison. Doch Probleme am Sprunggelenk bremsten ihn. Entzündung lautete die erste Diagnose. Es folgten zwei Wochen Pause. Doch es wurde nicht besser. Er verpasste die Vierschanzentournee, auf die er sich gefreut hatte. Bei einer weiteren Untersuchung wurde statt einer Entzündung ein Knochensplitter im Gelenk entdeckt. „Das hat fast schon eine tragische Komponente“, sagte Bundestrainer Schuster, „dass ein junger Mensch gesundheitlich so auf die Probe gestellt wird.“ Siegel erzählt, dass er in ein Loch gefallen sei. „Von 100 auf null – da ist mir etwas weggebrochen“, sagt der Springer.

Siegel holt Fachholschulreife nach

Geholfen hat David Siegel, der in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen ist, der Kontakt zu einem Pastor. Der erklärte ihm sehr bildhaft, dass jede Persönlichkeit auf fünf Säulen ruhe: Gesundheit, Beruf, Werte, materielle Sicherheit, soziales Netz. Der Sportler sollte für sich darstellen, wie ausgeprägt welche Säule in seinem Leben seien. „Sport und Beruf haben das halbe Blatt gefüllt, Gesundheit kam auch vor, aber die anderen Säulen waren ziemlich verkümmert“, berichtet er. Ein soziales Netz lässt sich schwer aufrechterhalten, wenn man 200 Tage im Jahr im Trainingslager oder auf Wettkämpfen ist. Dann erzählt er weiter: „Wenn von heute auf morgen zwei Säulen wegbrechen, dann kann sich jeder vorstellen, wie es in mir ausgesehen hat.“ Ziemlich leer.

Aus der Erkenntnis, dass er zu sehr auf die Karte Sport gesetzt hat, zog er Konsequenzen. Zum einen holte er die Fachhochschulreife nach. Dann engagierte er sich nach seinem Umzug in eine eigene Wohnung in Titisee-Neustadt in der Freien evangelischen Gemeinde. In Gesprächen wollte er herausfinden, ob es Gott gibt. Und wenn ja, was der mit ihm vorhat? „Ich habe mir die Frage gestellt, ob Skispringen, wenn ich mich in drei Jahren zweimal schwer verletze, mein Weg ist?“ Letztlich habe er, sagt Siegel, eine Antwort bekommen. „Ich will, dass du Ski springst. Ich möchte, dass du dadurch meine Welt weitergibst.“ Diese Erkenntnis habe ihm inneren Frieden gegeben. Damit konnte er die schwere Zeit überstehen. Denn David Siegel ist sich sicher, dass er als Skispringer noch nicht am Ende angekommen ist. Darin bestätigt wird er, wenn er sich seinen Unglückssprung von Zakopane anschaut.