Straßenkünstler und Passanten belebten am Samstag die Stuttgarter Innenstadt. Doch Corona ist trotz niedriger Inzidenz weiter sehr präsent. Alles beim Alten ist für die meisten deshalb trotzdem noch nicht.

Stuttgart - Die zwei Schwestern im Kindergartenalter strahlen, als Luftballon-Künstler Berthold ihnen eine bunte Blume und einen Hund aus Luftballons überreicht. „Es ist schön, wieder hier zu sein, die Kinder sind so dankbar“, sagt Berthold, der seit rund vier Jahren Luftballontiere macht und am Samstag in der Nähe der Domkirche St. Eberhard auf der Königstraße steht.

 

Fast scheint es so, als sei dies ein ganz normaler Samstag. Menschen drängen sich bepackt mit Einkaufstüten, Kaffee zum Mitnehmen und Eistüten durch die Stuttgarter Einkaufsmeile. „Viel los? Das ist doch nicht viel“, entgegnet Roman, der im Crêpes-Stand beim Hauptbahnhof arbeitet. „Für mich ist erst viel los, wenn ich den Asphalt nicht mehr sehe“, ergänzt er.

Sehnsucht nach Geschlechterfrage

Dass das hier auf der Königstraße der Fall war, sei aber lange her: „Zwischendurch war es hier ja fast gruselig, ich hätte gerne mal wieder einen Tag, an dem ich nach der Arbeit heimkomme und nicht mehr weiß, ob ich männlich oder weiblich bin“, sagt er, während er mit flinken Handgriffen den Eierkuchen – mit extra viel Nutella – für die nächste Kundin zubereitet.

Auch Luftballon-Künstler Berthold berichtet von früheren Zeiten, in denen er aus dem Luftballon aufpusten und Hunde, Schwerter, Blumen und Herzen in rot, blau und grün formen gar nicht mehr rauskam: „Normalerweise stehen im Schnitt zehn Kindern an, das passiert derzeit eigentlich gar nicht mehr“, berichtet er nicht ohne Wehmut.

Gute Laune nicht verderben lassen

Aber auch die Stimmung der Menschen in der Stuttgarter-Innenstadt, die auf den ersten Blick ausgelassen und fröhlich wirkt, scheint trotz des schöne Wetters und erheblichen Lockerungen aufgrund der Inzidenz von unter zehn, nicht die gleiche wie vor der Pandemie zu sein. „Die Stimmung hat sich grundlegend verändert, die Menschen sind ängstlich, deprimiert“, erzählt Trott-war-Verkäufer Pitt, der an seinem Stammplatz an der Stiftsstraße steht. Er selbst lasse sich die gute Laune aber nicht verderben: „Ohne gute Laune ist man tot“.

An einen weiteren Lockdown denkt Pitt deshalb nicht. Ganz im Gegensatz zu Brezelverkäuferin Sandra, die am Brezelkörble auf der Königstraße an der Ecke zur Büchsenstraße mit einem strahlenden Lächeln Brezeln verkauft. „Es ist so schön wieder mit den Menschen zu sprechen, aber ich habe auch ein wenig Angst, dass wir wieder schließen und ich in Kurzarbeit muss“, sagt sie.

Angst vor der Delta-Variante

Diese Sorgen teilen auch manche Passanten: „Ich mache mir schon auch noch Sorgen wegen Corona, vor allem wegen der Delta-Variante“, erzählt ein Passant aus der Nähe von Stuttgart. Und auch jene, die auf den ersten Blick unbesorgt und fröhlich wirken, müssen sich erst wieder an den Trubel gewöhnen. Naomi und Aristo fallen schon von Weitem auf, wie sie mit drei Freunden, Kinderwagen und Koffer bepackt gut gelaunt, schwatzend und lachend über die Königstraße schlendern. „Es ist noch sehr ungewohnt unter so vielen Leuten zu sein“, sagt Aristo. Und Freundin Naomi ergänzt: „Wir waren eben sehr lange Zuhause, deshalb verstehe ich auch jeden, dem hier noch zu viel los ist“.

Trotzdem freuen die beiden sich, endlich wieder ein wenig zur Normalität zurückzukehren: „Ich bin wirklich glücklich, mal wieder unter Menschen zu sein und Zeit mit unseren Freunden zu verbringen“, so Naomi. Deshalb sind die beiden auch guter Dinge, dass eine volle Innenstadt für sie bald wieder ganz normal sein wird: „Man wird sich schnell wieder daran gewöhnen. Und nur so kommen wir zurück zur Normalität“, lautet das Fazit der beiden.

Neue Normalität

Wann diese Normalität wieder Einzug halten wird, weiß niemand. Und so ziehen immer wieder vereinzelt Passanten im engen Gedränge ihre Maske aus der Tasche und bedecken mit besorgtem Blick Mund und Nase. Auch die 20-jährige Emma, die mit ihren Einkaufstüten auf der Königstraße beim Schlossplatz sitzt, berichtet, dass sie sich in manchen Situationen noch nicht so recht wohl fühle: „Wenn es eng wird, ziehe ich schon meine Maske auf“.

Eine Frau aus Feuerbach, die mit der Maske vom Charlottenplatz in Richtung Königstraße läuft, beschreibt ihr Gefühl in der Innenstadt am Samstag als ein Schwanken zwischen der Freude, wieder leben zu können und der Angst vor der Delta-Variante beziehungsweise der ungewohnten Situation, wieder unter Menschen zu sein. Für sie steht fest: „Normalität, nein. Die gibt es derzeit in Stuttgart noch nicht“.