Eine Jugendgang hat am Samstagfrüh in der Ausstellung „Good Space“ der Villa Merkel randaliert. Seit zwei bis drei Jahren ist die Galerie der Stadt allerdings mehr und mehr von mutwilligen Zerstörungen betroffen.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Esslingen - Vielleicht hat es diesen Einbruch sogar geben müssen, bei dem am Samstagfrüh die Ausstellung „Good Space“ verwüstet wurde. Denn er ist die Spitze des Eisberges von Vandalismus, von dem die Villa Merkel in den letzten zwei bis drei Jahren heimgesucht werde. Das berichtet Andreas Baur, der Leiter der Galerie der Stadt Esslingen, die in der Villa Merkel ihren Platz hat.

 

Zur Zeit bespielt die Villa das wohl größte Gebäude der Stadt Esslingen. Die ehemaligen Königlichen Eisenbahnwerkstätten in der Rennstraße sind ein Industriedenkmal aus dem 19. Jahrhundert und haben eine ebenerdige Fläche von 16 000 Quadratmetern, rund zwei Fußballfeldern. Gegen 5 Uhr am Samstag sehen Zeugen eine Gruppe Jugendlicher, die sich vor den Eisenbahnwerkstätten aufhält. Sie reißen ein Brett ab, mit dem ein Fenster vernagelt ist, und klettern in den Innenraum. In dem Gebäude sind großflächige Kunstwerke installiert, Videoinstallationen sind zu sehen und Modellarchitektur, mannshohe bunte Figuren und Plastiken.

Zerschmeißen Flaschen auf dem Boden

Die Jugendlichen fallen über den Kühlschrank her, nehmen die Flaschen heraus und zerschmeißen sie auf dem Boden. Dann gehen sie zu einer Installation von Fatma Bucak und zertrümmern die Glasscheibe eines Tablet-PCs. Sie kippen einen Tisch um, auf dem ein Architekturmodell des niederländischen Künstlers Rob Voerman steht, das Modell zerbricht auf dem Boden. Sie öffnen Türen, dringen in Nebenräume ein und verrücken einen großen Hubwagen.

Am Schluss schreiben sie sich in das Gästebuch der Ausstellung ein, drohen, dass sie noch mehr zerstören, und unterschreiben mit „Die Gang“. Dann verschwinden sie über einen Notausgang.

Das Bizarre an dieser Tat ist, dass sich die ausstellenden Künstler gerade mit Themen befassen, die zu Vandalismus führen. Wie kann man ausgegrenzten Jugendlichen einen Raum geben, in dem sie leben können, ist eine der Fragen, der „Good Space“ künstlerisch nachgeht.

Material plus Arbeitszeit mal X

Beispielsweise ist das zerstörte Kunstwerk das Modell eines Telekomgebäudes, das auch von der NSA genutzt wird. „Ich wollte damit Machtstrukturen zeigen, sie neu interpretieren und in einen neuen menschlicheren Kontext stellen“, sagt der niederländischen Künstler Rob Voerman über diese Arbeit. Etwa sechs Wochen hat er mit zwei Mitarbeitern gebraucht, um das Modell zu schaffen. „Ich finde es schrecklich, dass es überhaupt keinen Respekt vor der Arbeit anderer mehr gibt“, sagt der Künstler.

Andreas Baur war das ganze Wochenende und noch am Montag mit dem Fall beschäftigt. So schmerzlich die Verwüstungen für ihn sind – er sagt: „Wenn wir wüssten, was die Bedürfnisse der Jugendlichen sind, kann könnten wir ja auf sie eingehen.“

Kunstwerke werden nach der bekannten Formel „Material plus Arbeitszeit mal X“ berechnet, und dieses „X“, also den künstlerischen Wert des Modells, müssen jetzt die Gutachter ermitteln, um die Höhe des Schadens zu beziffern, bevor sie ihn der Versicherung zu melden können. Das wird sicherlich noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

Am ihrem Stammsitz hat die Villa seit etwa drei Jahren ein Problem mit Randalierern: Weil das Haus und der Garten videoüberwacht sind, wissen die Mitarbeiter, was sich dort nachts abspielt. Es wird gekokst, gedealt und gefeiert. Besonders der Portikus der Villa lädt junge Erwachsene zum Partymachen ein, einmal wurde vor der Türschwelle der Villa sogar ein Lagerfeuer angezündet. „Meine Mitarbeiter sind sonntags oft bis zu einer Dreiviertelstunde damit beschäftigt Glas, Müll und Erbrochenes wegzuputzen, damit das Haus überhaupt geöffnet werden kann.“

Der Skulpturenpark ist das Ziel von Zerstörern

Vor allem der Skulpturenpark ist zur Zeit das Ziel von Zerstörern. Die bronzene Figur des „Koki“, ein liebenswertes kleines Geschöpf mit Hundeschnauze, stand keine Woche, da hatte ihr schon jemand einen Hut aufgesetzt, eine Krawatte umgebunden und sie bekritzelt, wobei diese Schrift eher die Merkmale eines älteren Menschen trage, so Baur.

Die Spurensicherung der Polizei hat das Gebäude am Montag schon verlassen. Am Dienstag wird die Ausstellung voraussichtlich wieder geöffnet. Andreas Baur spricht weiterhin von einer positiven Grundstimmung, die ihn erfülle, und er wolle sich auch von diesen Ereignissen nicht darin beirren lassen, Kunst auch weiterhin außerhalb der Villa zu zeigen, „das sind wir den Künstlern und den Förderern schuldig.“ Mit einer Einschränkung. Künftig werden Wachmänner nachts das Gebäude im Auge behalten.