Das Stuttgarter Lindenmuseum hat unserem Autor schon früh Respekt vor verschiedenen Kulturen eingeimpft - nicht nur weil es seine Geschichte kritisch aufarbeitet.

Stuttgart - Ich konnte es kaum erwarten, bis die Museen wieder öffnen. Während des Lockdowns habe ich schon Entzugserscheinungen, so ganz ohne neuen kulturellen Input. Und es macht eben einen Unterschied, die Dinge „in echt“ zu sehen und nicht in einem Buch oder in einer Doku.

 

Als erstes werde ich ins Lindenmuseum gehen. Hier habe ich schon als kleines Kind über die Artefakte aus weit entfernten Ländern gestaunt. Später, als ich ungefähr elf Jahre alt war, kam ich mit meiner Mutter fast jede Woche einmal nach der Schule her. Das Aufsichtspersonal kannte mich schon, eine Frau meinte mal, dass es ungewöhnlich wäre, dass sich ein Kind in dem Alter so für ein Museum interessiert. Als ganz kleiner Junge haben mich vor allem die unheimlichen Masken aus der Südseeabteilung fasziniert, die direkt hinter dem Eingangsbereich begann und heute nicht mehr existiert.

Fasziniertes Schaudern

Dieser wohlige Grusel, der mich angesichts der bizarren Masken packte, war natürlich nicht unproblematisch. Das faszinierte Schaudern vor dem „Fremden“, „Wilden“, kurz, „Anderen“ ist, auch wenn es noch so wohlwollend und respektvoll gemeint ist, genauso ein Teil des kolonialistischen Blickes wie offene Verachtung für das „Unzivilisierte“. Seit ein paar Jahren beschäftigen sich die Völkerkundemuseen dieser Welt im Rahmen der Postcolonial Studies mit ihrer Vergangenheit. Die Entstehungszeit der meisten ethnographischen Ausstellungen fällt in die Hochzeit des Imperialismus und Kolonialismus. In den Museen wurde das „Exotische“, verkörpert in meist geraubten Objekten, zur Schau gestellt - natürlich nicht auf Augenhöhe mit den außereuropäischen Kulturen.

Problematische Artefakte

Auch das Lindenmuseum bereitet seine Geschichte kritisch auf. Die Idee für das Stuttgarter Museum entstand schließlich 1882, zwei Jahre vor der berüchtigten Kongokonferenz in Berlin, bei der die europäischen Länder Afrika unter sich in koloniale Einflussbereiche „aufteilte“. Die Werkstattausstellung „Schwieriges Erbe“ arbeitet die Ursprünge des Hauses auf, das ursprünglich der Vorbereitung von Auswanderern in die deutschen Überseekolonien diesen sollte. Flankiert wird die Ausstellung von Veranstaltungen und optischen Stolpersteinen, die auf problematische Artefakte hinweisen. So sind auf den Treppenstufen vor dem Eingang Aufkleber angebracht, die auf die Ornamente am Eingangsportal hinweisen, die in stereotyper Art einen Menschen aus Afrika und einen aus Neuguinea darstellen sollen.

Ein selbstbewusstes und zeitgenössisches Afrika

Aber das Gute am Lindenmuseum war schon immer, dass es den kolonialen Blick auch unterlief. Wenn man die alte Dauerausstellung zu Afrika betraf, stieß man zuerst auf die Nachbildung eines modernen Kioskes. An dessen Wänden hing Werbung für afrikanische Firmen, daneben standen Produkte, die man auch aus Europa kennt. Die Installation zeigte ein selbstbewusstes zeitgenössisches Afrika. Schon als Kind lernte ich hier, dass Afrika nicht nur aus den Klischeebildern von Armut und Exotik besteht, die einen sonst oft umschwirren. Leider ist diese Installation im Rahmen der Neuausrichtung der Afrikasammlung 2019 verschwunden, obwohl sich die neue Ausstellung explizit mit dem kolonialen Blick auseinandersetzt. Der Eindruck des Kioskes hat mir als Kind mehr Respekt und Verständnis für die Ähnlichkeit und gleichzeitige Unterschiedlichkeit einer anderen Kultur gelehrt, als es didaktische Einordnungen wohl getan hätten.