Je nach Branche trifft es den Handel ganz unterschiedlich. Wer Lebensmittel anbietet, hat Sonderschichten gefahren und ist weiterhin sehr gefragt. In anderen Bereichen wie in der Mode werden „massive wirtschaftliche Schäden“ beklagt.

Rems-Murr: Eva Schäfer (esc)

Fellbach - Seit rund vier Wochen haben Einzelhändler wieder offen. Wie sieht es im Alltagsgeschäft mit den Auflagen zur Hygiene aus? Mit welchen Umsatzeinbußen müssen sie kämpfen? Es ist je nach Branche sehr verschieden. Doch eines wird klar: Man ist im Einzelhandel weit von einer „Normalität“ wie in Vor-Corona-Zeiten entfernt.

 

Das lokale Netzwerk zahlt sich aus

Das Metzgergeifachgeschäft von Thomas Klingler war von der Schließung ausgenommen. Er fuhr am Anfang der Krise sogar Sonderschichten, organisierte fix Plexiglas und Desinfektionsmittel. „Von Fellbacher Firmen, unser lokales Netzwerk zahlt sich aus“, sagt Klingler. Er nahm wahr, „dass unser Beruf auf einmal ganz wichtig war“. Diese Wertschätzung habe ihn und sein Team gefreut. Es habe eine Woche gegeben, in der er so viel Konserven verkauft habe wie sonst in vier Wochen. Seinen Vorteil sieht er in der Unabhängigkeit von langen Lieferketten: „90 Prozent unseres Sortiments machen wir selbst, das hat sich in der Krise bewährt.“ Thomas Klingler beschäftigt ein 40-köpfiges Team. An die Mitarbeiter würden 10 000 Euro für Sonderschichten ausgeschüttet. Der Umsatzeinbruch im Partyservice werde durch die höhere Nachfrage im Laden ausgeglichen. „Zu Hause wird mehr gekocht. Es gibt keine Kantine – das wird nun alles eingekauft.“ Was anstrenge, sei der Umgang mit der Maske. „Man kann nichts von den Lippen ablesen und versteht den Kunden oft nicht so gut.“ Klingler weiß als stellvertretender Vorsitzender des Gewerbe- und Handelsvereins Fellbach, dass es für jeden eine Herausforderung ist, mit den Auswirkungen durch Corona umzugehen. Auch für die Kunden. „Die Leute koordinieren sich in der Warteschlange selbst“, berichtet Klingler. Die meisten brächten viel Verständnis für die Lage mit.

„Manche haben mich neu entdeckt“

Wenige Meter weiter führt Zorica Tadic den Kiosk am Cannstatter Platz. Sie hat Mitte März schnell reagiert, Spuckschutz und Desinfektionsmittel organisiert. Viele Leute hätten Zeitungen gekauft. „Manche haben mich neu entdeckt“, sagt die Kioskinhaberin. Man merkt ihr an, dass sie ihr Neun-Quadratmeter-Reich mit Herzblut führt. „Ich habe Visitenkarten verteilt, damit mich meine Stammkunden anrufen können“, erzählt Zorica Tadic. Manchem hat sie den Lesestoff auch nach Hause gebracht. Und sie habe Mut gemacht: „Ich habe Bonbons verteilt. Rund 80 Prozent meiner Kunden sind älter, sie schätzen den Kontakt.“

Die Kunden hätten ihr die Treue gehalten. Seit Montag kann sie wieder die Tischchen unter den Kastanienbäumen freigeben – mit Abstandsregeln. Ihr Fazit bisher? „Ich bin gesund. Ich kann mit den Kunden ein Schwätzchen halten, da bin ich froh“, erzählt sie.

„Regeln für unsere soziale Marktwirtschaft“

Ganz andere Herausforderungen hat Hans-Jürgen Raithle. Er führt mit seiner Frau das gleichnamige Modehaus im Rathaus-Carrée, das Stammhaus ist in Winterbach. Insgesamt beschäftigt das mittelständische Unternehmen rund 30 Mitarbeiter. Das Modehaus war fünf Wochen während des Shutdowns zu. „Aber nur, weil wir wieder offen haben, ist die Welt nicht wieder in Ordnung“, sagt Raithle. Es fehle die Fjavascript:void(null)requenz. Und die Maske wirke nicht so, dass man das Gefühl von Sicherheit und Spaß beim Einkaufen habe.

Sein Unternehmen habe „massiven wirtschaftlichen Schaden“ erlitten. Die Ware sei am Anfang des Jahres bis Dezember schon geordert und bezahlt worden. Raithle, der Mitglied im Stadtmarketing ist, appelliert, bewusst lokale Geschäfte zu unterstützen. „Think global – buy local“ – „global denken, lokal handeln“ laute sein Motto. Aus Sicht des Firmenchefs ist in der Corona-Krise aber auch die Politik gefordert: „Wenn man eine lebendige Innenstadt mit einem lebendigen Branchenmix erhalten möchte, dann brauchen wir von der Politik ein klares Signal.“ Und: „Haben wir noch die Chancengleichheit für alle?“, fragt er – mit Blick auf den Onlineriesen Amazon, ein Unternehmen, das die deutsche Infrastruktur nutze, aber keine Steuern zahle. „Wir brauchen Regeln für unsere soziale Marktwirtschaft“, sagt Raithle.

Er bringt eine zeitweise Reduzierung der Mehrwertsteuer ins Spiel. Für den Unternehmer wäre es auch angesagt, das Rabattgesetz zum Schutz kleinerer und mittlerer Firmen wiedereinzuführen, die die Schlacht mit Dauerniedrigpreisen nicht mitmachen könnten und wollten. Raithle betont: „Wir freuen uns über unsere Kunden und wir glauben an den Einzelhandel.“ Daher setze er sich weiter für den Standort ein, „mit vollem Einsatz“