Maimouna Obot aus dem Stuttgarter Süden nimmt sich bei ihren Reisen nach Nigeria verstoßener und gequälter Kinder an – und kämpft mit ihrem Verein Storychangers gegen den dortigen Hexenkult.

S-Süd - Ein Priester packt ein kleines Mädchen an den Armen oder den Haaren und schwingt sich mit ihr wie ein Berserker in Trance. Um ihn herum ein schreiender Mob. Die meisten gehören zur Familie, sie haben Angst, sie haben Panik. Das Kind soll eine Hexe sein und Unheil bringen. Offiziell beschuldigt werden die sogenannten Hexenkinder von Priestern, Pastoren oder Propheten. „Sie bieten perfiderweise auch gleich einen kostenpflichtigen Exorzismus an“, weiß Maimouna Obot, die in wenigen Tagen das dritte Mal nach Eket/Nigeria reist. Dort hat sie ein ähnliches Szenario miterlebt – allerdings nur als Theaterstück, aufgeführt von betroffenen Heimkindern. „Es war so echt, so beängstigend und beklemmend“, erinnert sie sich.

 

Unfassbare Brutalitäten

Zwei dieser Kinder hat sie selbst gerettet. Das zwölfjährige Mädchen wurde sechs Jahre lang von ihrer Stiefmutter gequält: „Sie ist ihr jeden Morgen auf den Bauch gesprungen, um ihr den Teufel auszutreiben.“ Den Jungen habe sie angekettet vorgefunden, mit Peitschenhieben übersät. „Manche Kinder werden lebendig verbrannt oder es wird versucht ihnen mit einer Machete den Kopf zu spalten“, erzählt Obot mit fester Stimme. Zehntausende Kinder in Nigeria, Togo oder im Kongo werden Jahr für Jahr von ihrer Familie verstoßen oder getötet – weil sie Zauberkräfte haben sollen. Der Beweis? Das Baby schreit zu viel, die Mutter wird krank, der Vater verliert den Job. Oft taktieren auch Stiefmütter, die ihr eigenes in die Ehe gebrachtes Kind an erster Stelle wissen wollen. „In Nigeria haben die Erstgeborenen den höchsten Rang und erben alles“, sagt Obot. In Nigeria könne jeder jeden beschuldigen, ohne Ausnahme. Steht die Anklage erst einmal im Raum, wird man das Stigma nicht mehr los. Fliehen die Kinder nicht, sind sie Folter ausgesetzt. Im schlimmsten Fall werden sie umgebracht.

Die 37-Jährige, die in Stuttgart-Süd geboren und aufgewachsen ist, hat nach ihrer ersten Nigeriareise vor zwei Jahren den Verein Storychangers gegründet. Die Ideen für ihre Kampagnen seien meist im Café Mischmisch in der Nähe des Marienplatzes entstanden – auch die Inhaberinnen gehören zu den Mitstreitern. Unter den ersten Vereinsmitgliedern waren auch ihre Eltern, ihr Vater stammt aus Nigeria, ihre Mutter aus Heslach. „Beide sind tolle Ideengeber, aber ich muss es dann machen“, sagt Maimouna Obot und lacht.

Juristin studiert noch Theologie

Zum einen möchte sie den Hexenkindern eine Zukunft geben: Ein Zuhause, das sie vor Angriffen schützt, wo sie Liebe erfahren und in die Schule gehen können. Auf der anderen Seite möchte sie durch Kampagnenarbeit mit den Priestern vor Ort erreichen, dass die Hexenanklagen irgendwann aufhören. „Um mit ihnen auf Augenhöhe debattieren und nachhaltige Aufklärungsarbeit leisten zu können, habe ich ein Studium der Theologie begonnen, das ich mit einem Doktortitel abschließen möchte“, erzählt die im öffentlichen Dienst tätige Juristin. Ihr selbst sind die Titel egal, doch in Nigeria „bedeuten sie alles“.

Deshalb glauben die Menschen auch den Pastoren, die ihre Predigten und Exorzismen in Ghettoblastern durch die Straßen schallen lassen. Viele kennen die Bibel selbst nicht und sind den Pastoren hörig.

Auch in Europa ein Thema

Das Problem der Hexenverfolgung hat eine lange Tradition, die sich immer weiter verändert. „Früher waren es eher alte Frauen, die gejagt wurden, heute sind es hauptsächlich Kinder“, erzählt die Vereinsvorsitzende und warnt: „Das Gebilde nimmt immer detaillierte Auswüchse an – es wächst wie ein Tumor mit neuen Spielarten und neuen Antiseren.“ Die Existenz von Zauberei werde in der Bibel kurz erwähnt – und genau darauf stütze sich die Gewalt an den „Hexenkindern“. „Das Buch der Liebe zu einem Instrument des Todes zu machen, geht einfach nicht“, sagt sie.

Behörden aufklären

Ein weiteres Ziel ihres Vereins sei die Aufklärung in Deutschland: „Hexenkinder sind nicht zuletzt wegen der Migrationsströme auch ein europäisches Thema – egal ob im Islam, Hinduismus, Christentum oder heidnischer Kult.“ Im Großbritannien habe die Polizei bereits 1600 „witch-related-crimes“ ermittelt. Auch die Vereinten Nationen nehmen sich des Themas an. In Deutschland gebe es allerdings noch wenig Aufmerksamkeit und keine Zahlen. „Oft wird von einem einfachen Kindesmissbrauch ausgegangen – die Behörden sind noch nicht ausreichend sensibilisiert.“ Genau aus diesem Grund will Maimouna Obot auch hier aufklären.

Kürzlich hielt sie im Mehrgenerationenhaus Heslach einen Vortrag, als nächste Station hat sie sich die Sozialämter vorgenommen, die Zusage steht noch aus. Sie würde gerne mit den Behörden zusammenarbeiten – der Gewaltprävention wegen.

Zudem sammelt sie Spenden mit denen sie die Kampagnen finanziert. Aber auch Spielsachen, Puzzles und Bücher für die Kinder in den zwei Heimen, die sie besuchen wird. „Doch die größte Freude für die Kleinen ist es, zu wissen, dass es fernab in Deutschland in einem kleinem Café Leute gibt, die hinter ihnen stehen und an sie denken“, betont die Vereinsgründerin.

Als Straßenkinder in ständiger Gefahr

Die Kinder, die oft von den eigenen Eltern verstoßen wurden, dürfen nicht berührt werden – man darf auch kein Geld von ihnen annehmen. Sie leben isoliert als Straßenkinder und in ständiger Gefahr gefoltert oder getötet zu werden. Oft rotten sie sich in Gangs zusammen und sind gezwungen zu stehlen. Wer es schafft, kommt in einem der Heime unter. Gibt es nicht genug zu essen, würden vor allem die älteren Jungs wieder weggeschickt – Mädchen sind verletzlicher.

Dass sich Maimouna Obot durch ihre Mission in Nigeria selbst in Gefahr begibt, ist ihr bewusst: „Es spricht sich herum, dass da eine Europäerin kommt und etwas gegen die Hexenanklagerei unternimmt.“ Sämtliche Helfer – egal ob Ausländer oder Nigerianer – setzen sich großer Gefahr aus, da sowohl viele Kirchengemeinden als auch Regierungsvertreter ein Interesse daran haben, dass die Welt nichts von den „Hexenkindern“ erfährt. Auch jetzt bleibt ihre Stimme fest, als sie verdeutlicht: „Meine Tage sind ohnehin von Gott gezählt, dann möchte ich die Zeit, die ich habe auch sinnvoll nutzen. Sollte ich mein Leben dort verlieren, dann soll es so sein – das schreckt mich nicht ab.“ Was Maimouna Obot antreibt? „Ich verspüre einen Ruf, ich werde dort gebraucht.“