Die Stadt wird bunter: Zunehmend öffnen die Kaufhäuser und größeren Geschäfte wieder. Die Neuregelung der 800-Quadratmeter-Regel macht’s möglich.

Stuttgart - Die Stuttgarter Händler atmen auf. Die neue Corona-Richtlinie für den Einzelhandel erlaubt, dass auch größere Geschäfte wieder öffnen dürfen, wenn sie eine Fläche von höchstens 800 Quadratmetern abtrennen. Am Mittwoch fiel nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen zugunsten eines Ulmer Modeladens die entsprechende Entscheidung der Landesregierung. „Diese Entscheidung hatte unser Verband von Anfang an gefordert, weil es hier nicht auf die Verkaufsfläche, sondern auf die Einhaltung der Hygieneschutzmaßnahmen ankommen muß“, so die Hauptgeschäftsführerin des Einzelhandelsverbands Baden-Württemberg, Sabine Hagmann.

 

Die betroffenen Stuttgarter Betriebe begannen am Donnerstag, die neue Richtlinie mit der Praxis in Einklang zu bringen. „Wir arbeiten mit Hochdruck daran, das Sicherheitskonzept umzusetzen“, sagte etwa Martin Benzing vom Einrichtungshaus Merz & Benzing in der Markthalle. Spätestens diesen Freitag wolle man wieder für die Kunden da sein. Das gilt auch für Korbmayer in der Schulstraße: Hier wurde umgeräumt und dekoriert, denn es sollen zwei von drei Etagen öffnen. „So kommen wir rechnerisch auf knapp 800 Quadratmeter, erklärte der Inhaber Florian Henneka. Plexiglas und Spender für Desinfektionmittel habe man schon vor Wochen organisiert. Auch Mediamarkt und Saturn wollen laut einer Pressemittelung ihre Häuser in Stuttgart von 24. April an wieder öffnen.

Große Häuser wie Breuninger haben ebenfalls nicht aus dem Stand die Türen aufgesperrt – das Outlet hat allerdings bereits seit Montag offen. „Wir werden langsam wieder anfangen,“ sagte der Unternehmenssprecher Christian Witt. Man werde nicht überstürzt handeln, sondern die Eröffnung einer Teilfläche „ordentlich vorbereiten“. Das Paradebeispiel dafür, wie das aussehen könne, sei die Confiserie in der Karlspassage, die seit Mittwoch wieder geöffnet ist: Es gibt dort einen getrennten Ein- und Ausgang, die Mitarbeiter tragen Masken, Desinfektionsmittel steht bereit.

Masken und Türsteher

Dahinter stecke eine Riesenlogistik, so Witt. Schließlich müsse nicht nur das Stuttgarter Stammhaus beispielsweise mit Masken und zusätzlichen Türstehern ausgestattet werden, sondern auch die Breuningerländer in Ludwigsburg und Sindelfingen sowie die Geschäfte in Freiburg, Karlsruhe und Reutlingen. Die Tage vor dem Umschwenken der Landesregierung glichen einem Wechselbad der Gefühle, wie es Martin Benzing beschreibt. Mit dem Maßband hatten er und seine Schwester Dorothée Merz Mitte voriger Woche vermessen, wie sie die 800 Quadratmeter von ihrer Ladenfläche abtrennen könnten. Die Hygienemaßnahmen waren ausgetüftelt. Die Rechnung, wie viele der Mitarbeiter aus der Kurzarbeit zurückgeholt werden könnten, stand. Da erfuhren sie, dass in Baden-Württemberg die Öffnung einer Teilfläche im Einzelhandel nicht erlaubt sei. Das war am Freitagabend – am Montagfrüh wollten sie eigentlich wieder an den Start gehen.

Was den Inhabern des Familienbetriebs blieb, war der Blumenstand in der Markthalle und eine gehörig Portion Wut im Bauch. „Ich war superenttäuscht“, sagt Martin Benzing, und zwar von der Art und Weise wie die Landesverordnung kommuniziert worden sei. Im Prinzip sei seine einzige Informationsquelle der Handelsverband. Von der Politik fühlt er sich im Stich gelassen, auch wenn er jetzt aufatmet: „Gesundheit geht vor. Ich bin mit allem einverstanden, solange es gerecht ist und nicht einzelne Branchen bevorzugt werden.“

Kunden sind diszipliniert

Auch viele Kollegen, die aufgrund ihrer kleineren Verkaufsfläche bereits seit Montag wieder offen haben, also nicht direkt betroffen sind, begrüßen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts. „Aus unserer Sicht ist das Wichtigste, dass sich alle Händler an die Hygienerichtlinien halten unabhängig der Größe ihres Ladenlokals“, sagt Timo Allert, der Geschäftsführer von Baslerbeauty. Er kann von den ersten offenen Tagen in seiner Parfümerie in der Hirschstraße (früher Mußler) Positives berichten. „Unsere Kunden haben sich sehr diszipliniert verhalten.“ Die handgenähten Schutzmasken aus einem Atelier im Stuttgarter Westen, von deren Erlös zehn Euro an die Stuttgarter Tafel gehen, seien bereits am ersten Tag, also am Montag, ausverkauft gewesen.