Eishockey ist ein harter Sport, Verletzungen sind inklusive. Davon kann Bietigheims Justin Kelly ein Lied singen. Nach einem Bodycheck pausierte er fast 300 Tage – jetzt kehrt er aufs Eis zurück.

Bietigheim - Was er am meisten vermisst habe? „Den Wettbewerb. Sich mit anderen zu messen. Eine volle Halle und intensive Spiele“, sagt Justin Kelly, das alles hat ihm gefehlt – 296 Tage lang.

 

Die Aussagen des Mannes, der so heiß darauf ist, sich wieder die Kufen unter die Füße zu schnallen, klingen verrückt – wenn man seine Geschichte kennt. Und das ist sie: Der Topstürmer des Eishockey-Zweitligisten SC Bietigheim-Bissingen steht am Sonntag gegen den SC Riessersee vor seinem Comeback . Sein bis dahin letztes Spiel bestritt der Kanadier am 15. April 2016. Es war das erste Spiel der Finalserie, als seine Leidenszeit begann. „Ich habe den Bodycheck nicht kommen sehen, er hat mich am Kopf erwischt“, sagt Justin Kelly. Er erlitt eine schwere Gehirnerschütterung, die zweite innerhalb von zwei Jahren. Sie verhinderte sein weiteres Eingreifen in die Finalserie, die schlussendlich gegen die Kassel Huskies verloren ging. Es war nur die erste von unzähligen bitteren Pillen, die Kelly schlucken musste.

Diese Art der Verletzung ist im Eishockey, in dem eine harte Gangart auf dem Spielfeld inklusive Bodychecks an der Tagesordnung ist, nicht untypisch – und trotzdem nicht zu unterschätzen. Vor allem, wenn sie Ausmaße annimmt wie beim 35-Jährigen Topscorer der vergangenen Hauptrunde der DEL 2. Starke Kopfschmerzen plagten ihn über Monate, eingeschränkte Sicht störte ihn auch im Alltag, die Konzentrationsfähigkeit kam ihm abhanden, und alles wurde sehr viel schneller anstrengend als in seinem bisherigen Leben als austrainierter Sportler.

Reha in Kanada

Die Steelers und Justin Kelly beschlossen gemeinsam eine Reha in Kanada für den Stürmer, dort verbrachte er den Sommer. Viel habe er mit Physiotherapeuten im Nackenbereich gearbeitet, erzählt Kelly, „dazu habe ich mit Experten Übungen zur Augenkoordination gemacht und an meiner Konzentrationsfähigkeit gearbeitet“. Und trotzdem gab es die Tage, an denen er an sein Karriereende dachte.

Dabei stand vor allem der Gedanke an die Zeit nach der Laufbahn im Vordergrund; Eishockey sei nur ein kleiner Teil seines Lebens, so Kelly. „Die Lebensqualität nach der Karriere war in Gefahr, vor allem an den Tagen, an denen ich keinen Fortschritt erkennen konnte“, sagt Kelly. Positive Gedanken hielten seinen Wunsch nach einer Fortsetzung seiner erfolgreichen Laufbahn am Leben. Alleine für die Steelers erzielte er in 250 Spielen 135 Tore und gab 212 Torvorlagen.

Seit Oktober ist der zweimalige Spieler des Jahres der DEL 2 wieder in Bietigheim. Durch die Arbeit mit Psychologen, Physiotherapeuten und Trainern hat sich sein Zustand merklich verbessert: Seit Jahresbeginn steht er wieder im Training auf dem Eis. Auch das habe ihm gefehlt, „mit den Jungs zu spielen, Spaß zu haben, wieder voll im Team und auf dem Eis kreativ zu sein“.

Sonntag kommt Riessersee

Am Sonntag (17 Uhr, Egetrans-Arena) hat er vor heimischem Publikum wieder die Chance dazu –nach 296 Tagen Leidenszeit. „Ich mache mir keinen Stress, ich will mich langsam wieder an das Spieltempo und an die Bodychecks der Gegner gewöhnen“, sagt Kelly, denn „die wichtigste Zeit im Jahr kommt erst noch: die Play-offs“. Beeilen muss sich Kelly nicht, die Steelers stehen, wie aus den vergangenen Jahren fast schon gewohnt, auf dem ersten Tabellenplatz. Und der Sturm, in dem Justin Kelly wieder eingesetzt wird, ist ebenfalls der beste der Liga – das Zwischenziel Play-offs ist also zum Greifen nahe.

Bis zur Meisterschaftsrunde möchte Justin Kelly, der nun in der sechsten Saison für die Steelers auf Torjagd geht, wieder komplett fit sein. Der abermalige Gewinn der Meisterschaft wäre der krönende Abschluss eines schwierigen Jahres für ihn. Zudem wäre der Titel in dieser Saison eigentlich logisch: nach 2013 und 2015 nun auch 2017? Da lacht Justin Kelly nur, „auch wenn es wichtigere Sachen im Leben gibt – das habe ich in der Zeit jetzt erlebt – es wäre noch einmal die Erfüllung eines Traumes“. Nach dem Albtraum Gehirnerschütterung.