An die klassische Saison halten sich nur noch wenige Eismacher: Statt nach Italien oder in den Urlaub zu fahren, bleiben die meisten Stuttgarter Eiscafés geöffnet – und servieren heiße Waffeln oder Suppen statt der kalten Süßspeise.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Joëlle Massen und ihr Mann Fab müssen „nach sechs Monaten Saison erst einmal die Knochen wieder gerade biegen“. Am 3. Oktober haben sich die Inhaber der Eisdiele Zur Schleckerei im Stuttgarter Osten in die Winterpause verabschiedet. Auch die Kollegen von der Eiswerkstatt im Westen erholen sich momentan vom Stress im Sommer. Die Familie Bertazzoni hat ihr Geschäft in der Ostendstraße ebenfalls geschlossen, sogar Old Bridge in der Innenstadt erspart sich einen Teil des Winters. Esther Weeber vom Eis-Bistro Pinguin am Eugensplatz ist im Dezember mit einem Nebenjob beschäftigt. Andere Eisdielen halten durch wie Giampietro Marion vom Eiscafé Venedig oder Claudio Estasi von der Eismanufaktur Claus.

 

In der Saison wird in der Eisdiele pausenlos gearbeitet

„In und um die Schleckerei wird während der Saison soviel gearbeitet wie es andere Leute in einem Jahr tun – nur eben am Stück“, erklärt Joëlle Massen die lange Auszeit. Einen Monat braucht sie noch, um den Laden winterfest zu machen und ihre Buchhaltung zu sortieren. Danach wird verreist. Trotz der Pause beschäftigen sich die beiden von der Schleckerei aber mit Eis, probieren neue Rezepte aus, sammeln Ideen, sind hin und wieder in ihrem Geschäft. Das ganze Jahr über offen zu bleiben, ist für Joelle Massen allerdings keine Option, weil in den kalten Monaten einfach nicht genug Kundschaft vorbeikommt. „Eis ist unser Herzensprojekt, wir wollen im Winter nicht Suppe servieren“, sagt sie. Außerdem hat es noch einen Vorteil, sich in die Winterzeit zu verabschieden: Die Vorfreude ist dann auf beiden Seiten groß, wenn es je nach Wetterlage gegen Ende März wieder los geht.

„Wir gehen allen möglichen Sachen nach, für die wir im Sommer keine Zeit haben“, berichtet Sebastian Kern von der Eiswerkstatt. Er und sein Kompagnon Johannes Messmer konnten ihren Laden in der Senefelderstraße an einen Pop-up-Store untervermieten, was die Situation entspannt. „Man muss schauen, dass man in der Saison die Schäfchen ins Trockene bekommt“, sagt Sebastian Kern. Wobei auch im Sommer kaum jemand bei Regen Lust auf Eis habe. Einmal erwacht die Eiswerkstatt kurz aus dem Winterschlaf: Vor Heilig Abend werden an zwei Tagen auf Vorbestellung große Becher für die Feiertage verkauft.

Germknödel, Berliner und heißer Pinguin für den Weihnachtsmarkt

Im Eis-Bistro Pinguin hängt ein großes Schild im Schaufenster: im Sommer Eis, im Winter Weihnachtsmarkt. Esther Weeber verkauft dann mit ihrer Familie 31 Tage lang bis 23. Dezember Germknödel, den heißen Pinguin mit Orangensaft, Berliner und Spritzkuchen. „Die Eisdiele lohnt sich einfach nicht“, erklärt sie. Abgesehen davon, dass kaum Laufkundschaft vorbei komme und sie keinen Gastraum zu bieten hat, seien die Energiekosten von 1000 auf 2500 Euro im Monat gestiegen. Ihre Familie kommt eigentlich aus der Schaustellerei, auf dem Wasen betrieb der Vater früher einen Stand, Eis gab es deshalb nur von den Faschingsferien bis zum Volksfeststart. „Im Herbst ist Eis abgedroschen, erst im Frühjahr hat man wieder Sehnsucht danach“, findet Esther Weeber.

Als Winterschlaf bezeichnet auch die Familie Bertazzoni ihren aktuellen Zustand. Sie freut sich darauf, die Gäste „beim Frühlingserwachen“ im März wieder zu begrüßen. Nach 18-Stunden-Tagen an sieben Tagen die Woche sei die Auszeit mehr als notwendig, sagt Alfredo Bertazzoni. Die beiden Filialen der Gelateria Old Bridge schließen im Dezember und im Januar. „Herbstwetter ist kein Grund, auf leckeres Eis zu verzichten“, verkündet dagegen die Gelateria Mont Blanc auf Facebook. Aber in ihren Filialen in der Kronenstraße und in Feuerbach werden noch Macarons und andere süße Stückchen verkauft. Das Eiscafé Cortina in Möhringen startet dieses Jahr einen Versuch und verkauft Geschenkkörbe mit Delikatessen aus Italien an zwei Tagen in der Woche. „Die Kunden fanden es immer schade, wenn wir geschlossen haben“, erzählt Roberta Camagta, viele kämen für einen Espresso oder Cappuccino vorbei. Und seit die Kinder in die Schule gehen, könnten sie sowieso nur in den Ferien in den Süden reisen.

Auf der Königstraße vier bis acht statt 25 Sorten Eis

Giampietro Marion hat vor 25 Jahren durch die Heirat mit einer Deutschen seinen Heimaturlaub gestrichen. Der Betreiber von vier Eiscafés setzt in der kalten Jahreszeit auf Crêpes, Waffeln, heiße Getränke sowie eingeschränkte Öffnungszeiten. Im Januar ist nur sein Eiscafé Venedig auf der Königstraße offen. Frisches Eis macht er auch im Winter, allerdings nur vier bis acht statt der üblichen 25 Sorten. Vanille und Schokolade ist ein Muss, Spaghetti-Eis gehe bei jedem Wetter. „Im Winter überleben wir“, sagt er jedoch, „im Sommer müssen wir darauf sparen.“

Für Claudio Esasi war von Anfang an klar, dass Eis alleine in seiner Lage nicht genügt. Die Eismanufaktur Claus in der Tübinger Straße hat er zum Deli gemacht, um sein 150 Quadratmeter großes Lokal mit Gästen zu füllen. Suppen, Salate, und Sandwiches stehen auf der Speisekarte. „Aber Eis geht auch im Winter“, sagt er – etwa zur belgischen Waffel oder zu einem Stück Bananenbrot. Seine Vitrine ist gut gefüllt, mit speziellen Sorten wie Zimt-Apfelkompott oder Marzipan-Mohn geht er auf den Winter ein.