In der Bundesliga gibt es eine beachtliche Elfmeterserie zu bestaunen. Mit Nicolas Gonzalez vom VfB Stuttgart in einer der Hauptrollen. Warum es derzeit zu so vielen Strafstößen kommt – und warum Gonzalez’ verzögerter Anlauf absolut regelkonform ist.

Sport: Gregor Preiß (gp)

Stuttgart - „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ heißt eine Erzählung des Schriftstellers Peter Handke aus dem Jahr 1970. Bezogen auf die aktuelle Saison in der Fußball-Bundesliga ist der Titel zutreffender denn je. Wo normalerweise der Druck aufseiten des Schützen liegt, der Schlussmann hingegen nichts zu verlieren hat, stehen die Torhüter in der bisherigen Saison bislang auf völlig verlorenem Posten. Die Statistik weist dazu erstaunliche Werte aus: 30 Elfmeter wurden an den ersten sieben Spieltagen gepfiffen. 28 wurden verwandelt, nur zwei, beim Sonntagsspiel zwischen Wolfsburg und Hoffenheim, vergeben. Eine fast Prozent-Quote, die deutlich über jener von rund 75 Prozent liegt, welche über viele Jahre hinweg errechnet wurde.

 

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Woran es liegt, dass derzeit fast jeder Schuss vom Punkt zu einem Treffer führt, lässt sich nur schwer eruieren. Vielleicht an der immer ausdifferenzierteren Trainingsarbeit. Nun beschäftigt der VfB Stuttgart zwar noch keinen eigenständigen Strafstoß-Coach. Die Präzision, mit der Nicolas Gonzalez seine Elfmeter verwandelt, legt aber zumindest den Schluss nahe, dass er fleißig vom Elfmeterpunkt übt. Beim 2:2 gegen Eintracht Frankfurt verwandelte der stark aufspielende Stürmer ligaübergreifend seinen sechsten Strafstoß für den VfB in Folge.

Damit heftet sich Gonzalez an die Fersen von Max Kruse. Der Angreifer von Union Berlin stellte am Wochenende beim 5:0-Sieg gegen Armina Bielefeld gar einen 37 Jahre alten Rekord von Jochen Abel (VfL Bochum und FC Schalke) ein. Kruse verwandelte gegen Bielefeld seinen 16. Elfmeter in Folge.

Darum ist Nicolas Gonzalez der Spieler des Spiels

Was bei den Elfmeterkönigen aus Stuttgart und Berlin auffällt: Ihre Masche ist immer dieselbe. Ein verzögerter Anlauf, die Bewegung des Torhüters abwartend – und ab mit dem Ball ins andere Eck. In Robert Lewandowski haben Kruse und Gonzalez dabei offenbar ihren Lehrmeister gefunden. Der Torjäger des FC Bayern hat den verzögerten Anlauf zur Kunstform erhoben. Weshalb nicht nur Gonzalez und Kruse dem Polen nacheifern. Das kurze Abstoppen gehört in der Bundesliga mittlerweile fast zum Standard. Gewöhnliche, durchgängige Schritte hin zum Elfmeterpunkt sieht man dagegen immer seltener. Dafür andere seltsam anmutende Bewegungen wie etwa von Serdar Dursun: Der Zweitligakicker von Darmstadt 98 hüpft kurz vor dem Schuss wie ein Pferd, ehe er im Fallen den Ball trifft.

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Einen Regelverstoß stellt all dies nicht dar. Vereinfacht gesagt ist für den Schützen beim Anlauf praktisch alles erlaubt. Er könnte auch einen Salto schlagen. Erst wenn das Standbein neben dem Ball steht, beim letzten Schritt also, darf nicht mehr gestoppt oder verzögert werden. „So wie Lewandowski oder Gonzalez das machen, ist das absolut regelkonform“, urteilt der frühere Fifa-Schiedsrichter Knut Kircher.

Für die in Mode gekommenen Showeinlagen am Elfmeterpunkt hat der langjährige Referee keine Erklärung parat. Dafür glaubt Kircher zu wissen, warum in dieser Saison nach nur sieben Spieltagen schon 30 Strafstöße verhängt wurden. Zum einen würden durch den Videobeweis grundsätzlich mehr Fouls und Handspiele geahndet. Zum anderen seien die Schiedsrichter seit Kurzem angewiesen, das Halten im Strafraum konsequenter zu ahnden. Das erkläre die hohe Zahl an Elfmetern, so Kircher.

Bleibt die Frage, wie lange die Serie von Kruse und Gonzalez noch anhält. So langsam müssten die Torhüter in der Bundesliga den Trick eigentlich durchschaut haben. Sich im letzten Moment gezielt für eine Ecke zu entscheiden wäre bei Gonzalez’ flach getretenen Strafstößen eine Möglichkeit. Aber auch das ist aus der Mode gekommen. Warum auch immer.

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