Der Dichtungsspezialist Elring-Klinger will den Wechsel hin zur Elektromobilität schaffen, obwohl gegenwärtig noch neun von zehn Euro mit Produkten für Verbrennungsmotoren umgesetzt werden.

Stuttgart - Noch macht Elring-Klinger 90 Prozent des Umsatzes mit Produkten rund um den Verbrennungsmotor. Im Interview sagt Vorstandschef Stefan Wolf, wie er den Dichtungsspezialisten auf Zukunftsbereiche wie Batterietechnologie und Leichtbau ausrichten will. Elring-Klinger baut sogar eine eigene Batterie, um seine Kompetenz zu zeigen. Der Energiespeicher ist das Herz des E-Mobils – wie der Motor im konventionellen Auto.

 
Herr Wolf, die Aktie von Elring-Klinger hat vor zwei Jahren mehr als 30 Euro gekostet, jetzt nur noch etwa die Hälfte. Zweifeln die Anleger an der Zukunftsfähigkeit der Branche allgemein und von Elring-Klinger im Besonderen?
Wir sind natürlich mit der Entwicklung des Aktienkurses nicht glücklich. Zwei Faktoren haben den Verlauf geprägt: Die gesamte Auto- und Autozulieferbranche ist durch den Dieselsachverhalt unter Druck geraten. Deshalb haben auch die Aktienkurse anderer Unternehmen nachgegeben. Zudem hatten wir ein hausgemachtes Problem, einen Kapazitätsengpass in einem Schweizer Werk. Das hat uns in den letzten zwei Jahren belastet. Das liegt zwar grundsätzlich hinter uns, hat aber durch Gewinnwarnungen auch Reputation am Kapitalmarkt gekostet. Dieses verlorene Vertrauen müssen wir wieder aufbauen. Hier sehe ich uns auf einem guten Weg.
Geben Sie dem Diesel noch eine Chance?
Aus meiner Sicht ist der Dieselmotor der sauberste aller Verbrennungsmotoren, sofern sämtliche Mechanismen zur Schadstoffreduzierung eingebaut werden, wie zum Beispiel die Harnstoffzufuhr. Er ist völlig zu Unrecht so in Verruf geraten. Wir brauchen ihn auch wegen des geringen CO2-Ausstoßes; denn ab 2021 sind die EU-Grenzwerte von 95 Gramm pro Kilometer einzuhalten. Ohne den Dieselmotor sind diese Flottenwerte kaum zu erreichen, da Elektroautos in größerer Zahl noch fehlen.
Kann sich der Diesel in allen Kategorien halten? Abgasreinigung ist teuer.
Ich erwarte, dass wir im Kleinwagen- und im Mittelklasse-Segment zurückgehende Dieselanteile haben werden. Hier würden die Mehrkosten durch die Nachbehandlungssysteme stärker ins Gewicht fallen als in der Ober- und Luxusklasse.
Wie wird sich das auf Elring-Klinger auswirken?
Vor 15 Jahren hätte ich sagen müssen: Das wirkt sich dramatisch aus. Da waren wir stärker vom Diesel abhängig. Wir haben seitdem aber bei den Benzinern sehr stark aufgeholt, denn durch die Direkteinspritzung sind die Drücke deutlich nach oben gegangen, was einen höheren Aufwand für die Abdichtung des Motors zur Folge hatte. Vom Diesel her kennen wir hohe Verbrennungsdrücke von 180 bis 250 bar. Beim Benziner ohne Direkteinspritzung waren es früher 80 bis 100 bar, mit Direkteinspritzung sind es mittlerweile auch bis zu 200 bar. Die Auswirkungen der wahrscheinlich zurückgehenden Dieselanteile sind aus diesem Grund relativ gering, sofern nicht generell weniger Fahrzeuge gekauft werden.
Nicht nur über den Diesel wird diskutiert, der Verbrennungsmotor insgesamt könnte zum Auslaufmodell werden. Wie stark sind Sie vom Verbrennungsmotor abhängig?
Derzeit hängt 90 Prozent des Umsatzes am Verbrennungsmotor. Da ist vom Hybrid bis zum Ersatzteilgeschäft alles drin.
Das klingt nicht beruhigend.
Nur auf den ersten Blick. Wir sind einer der wenigen Automobilzulieferer, die bereits heute ein umfangreiches Produktportfolio für reine Elektrofahrzeuge haben: Zellverbinder, Türmodule und Cockpit-Querträger. Diese neuen Produkte bringen deutlich mehr Umsatz je Fahrzeug als unsere klassische Zylinderkopfdichtung. Wir haben uns schon vor Jahren auf den Wandel vorbereitet, der nun aber schneller kommen wird, als noch vor Kurzem erwartet.
Noch bringen Ihre neuen Produkte aber wenig Umsatz. Wie sieht Ihr Plan aus?
Wir werden unsere klassischen Produkte weiter fertigen, aber die Hersteller werden weniger Verbrennungsmotoren verkaufen. Den Höhepunkt des Verbrennungsmotorzyklus werden wir nach Expertenschätzungen 2020/21 mit rund 90 Millionen Stück weltweit erreichen. Danach wird es sukzessive nach unten gehen. Die Branche braucht in den nächsten 10 bis 15 Jahren neue Produkte, mit denen man das ausgleichen kann. Da ab 2020/21 das gesamte Marktwachstum durch Fahrzeuge mit alternativen Antrieben getragen werden wird, betrachten wir Leichtbau, Brennstoffzellen- und Batterietechnologie als unsere Zukunftsbereiche und werden hier überproportional investieren. In den klassischen Bereichen werden wir auch investieren, aber unterproportional. Denn hier müssen wir das Geld für die neuen Bereiche verdienen.
Welche Überlegungen gibt es?
Die Zellverbinder in der Batterietechnologie produzieren wir zum Beispiel aktuell nur in Deutschland. Der nächste Schritt könnte eine Produktion in China sein. Ich rechne dort mittelfristig mit einer Kontingentierung durch die Regierung. Aus Umweltgründen wird von den 20 bis 22 Millionen neuen Autos pro Jahr die Hälfte elektrisch sein müssen.
Wird es in den nächsten fünf Jahren noch einen Beschäftigungszuwachs geben?
Das glaube ich nicht. Wir handeln in allen Produktbereichen permanent bedarfsgerecht und kostenbewusst. Wir werden sicher kein Personal abbauen, weil wir weiteres Wachstum haben, aber wir werden auch keinen deutlichen Stellenzuwachs haben. In unseren neuen Produktbereichen sind wir hochautomatisiert. Demgegenüber ist der Personaleinsatz bei den klassischen Produkten deutlich höher. Allgemein gilt: In 30 Jahren, wenn vielleicht noch 40 oder 50 Millionen Verbrennungsmotoren weltweit gebaut werden, werden wir weniger Arbeitsplätze in unserer Industrie haben.
Ist Ihr Produktportfolio für die Zukunft bereits komplett?
Wir sind schon gut aufgestellt, aber bauen unsere Palette trotzdem weiter aus. Das Türmodul wird sicher nicht unser einziges Karosserie-Leichtbauteil bleiben. Unsere Strategie war es immer, neue Anwendungen für unsere bereits im Einsatz befindlichen Technologien zu finden. In unserem klassischen Bereich bieten wir zum Beispiel eine Zylinderkopfhaube aus Kunststoff an. Früher haben wir nur die Dichtungen für eine Haube aus Stahl geliefert. Für eine eigengefertigte Haube aus Kunststoff haben wir Kunden gewonnen, weil sie eine Gewichts- und eine Kostenreduzierung bringt. Danach haben wir uns den gesamten Motorraum angeschaut. Zunächst haben wir eine Ölwanne am Motor aus Kunststoff entwickelt, dann haben wir bei allen möglichen Abdeckungen, die unsere Dichtungen enthielten, Stahl durch Kunststoff ersetzt. Als Resultat haben wir heute 25 unterschiedliche Produkte in diesem Bereich. Und mit unseren Karosserieleichtbauteilen werden wir das ebenso machen.
Welche Rolle spielen künftig Übernahmen und Fusionen?
Wenn uns morgen im Bereich der alternativen Antriebe etwas angeboten würde, dann wären wir sicherlich interessiert. Aber da zeichnet sich aktuell nichts ab. Wir haben uns jüngst an der Entwicklungsgesellschaft Hofer in Nürtingen beteiligt, die ihren Schwerpunkt auf alternative Antriebskonzepte legt. Das Unternehmen hat zahlreiche innovative Ideen und Entwicklungen. Für deren Produktion hat Hofer Partner gesucht und sich für uns entschieden. An der Produktionsgesellschaft Hofer Powertrain Production halten wir die Mehrheit. Wir können Herstellern jetzt den kompletten elektrifizierten Antriebsstrang anbieten. Der Vorteil für uns ist auch, dass wir über Komponenten Wertschöpfung in den Konzern holen können.
Bei der Batterie haben Sie den Zellverbinder. Ist vor dem Hintergrund der großen Bedeutung der Batterie fürs Elektroauto noch mehr denkbar?
Wir machen außerdem auch Zellgehäuse und Batterierahmen. Aber jetzt sind wir gerade dabei, unsere eigene Batterie zu entwickeln, wobei wir die Zellen zukaufen. Wir wollen über unseren gegenwärtigen Status als Lieferant von Komponenten hinauskommen und durch die Entwicklung des kompletten Systems unsere Kompetenz unter Beweis stellen. Ich denke, dass wir innerhalb der nächsten zwei Jahre so weit sein werden. Ob wir diese Batterie dann auch bauen, da würde ich mal ein Fragezeichen machen.
Braucht Europa eine eigene Zellproduktion?
Ich halte das nicht für notwendig. Es gibt eine große Zellproduktion in Asien. Das Beispiel Solarzellen lehrt, dass es nicht funktionieren würde, hier etwas aufzubauen, während es zugleich weltweit Überkapazitäten gibt. Da ist man in Europa jetzt einfach zu spät dran.
Das gilt für die aktuellen Lithium-Ionen-Batterien. Wie sieht es mit der nächsten Generation aus?
Die Frage wird sein, ob man in Europa in der Lage ist, die neue Generation zu entwickeln. Wenn das so sein sollte, ist aber immer noch nicht gesagt, ob man diese auch hier produzieren sollte oder könnte.
Sie haben sich in der Vergangenheit eher skeptisch zur Kaufprämie für Elektroautos geäußert. Wie fällt das Urteil über die Politik auf dem Gebiet Elektromobilität insgesamt aus?
Ich sehe mich zu 100 Prozent bestätigt. Die zwei Milliarden Euro, die die Bundesregierung für die Kaufprämie lockergemacht hat, werden erst – übertrieben gesagt – in 100 Jahren aufgebraucht sein, wenn die Anträge weiter so tröpfeln wie bisher. Die Kaufprämie ist der falsche Ansatz. Richtig wäre aus meiner Sicht: Mehr Geld, sehr viel mehr Geld als die zwei Milliarden Euro in die Hand nehmen und das in Forschung und Entwicklung stecken, um die nächste Batteriegeneration hier in Deutschland zu entwickeln und Innovationsführer in dieser neuen Technologie zu sein. Das ist absolut entscheidend.
Um wie viel Geld geht es da?
Ich schätze, es geht um einen hohen zweistelligen oder sogar einen dreistelligen Milliardenbetrag. Das ist eine richtige Herausforderung. Sie kann aber nur von Wirtschaft und Politik gemeinsam gestemmt werden, so etwas geht nur in einer konzertierten Aktion. Kurzfristig wird sich da nichts mehr tun, das ist ein Thema für die Zeit nach der Bundestagswahl.