Vor zwanzig Jahren hat der US-Künstler Eminem das epochemachende Album „Slim Shady LP“ veröffentlicht, das am 13. Dezember als Jubiläums-Edition neu aufgelegt wird. Wie lässt sich sein Erfolg auch in Deutschland, weit weg von Detroit, erklären?

Klima und Nachhaltigkeit: Julia Bosch (jub)

Stuttgart - Die großen Bühnen und Plattenfirmen sind das eine. Doch entscheidend ist das andere: das Kinderzimmer. Dort entscheidet sich nämlich maßgeblich, ob ein Rapper, Hip-Hopper oder Popsänger Erfolg haben wird. Denn was heute Youtube und Spotify ist, war Anfang der Nullerjahre der CD-Player. Nachmittag für Nachmittag saßen Kinder und Jugendliche auf der ganzen Welt vor diesen meist silberfarbenen Geräten und hörten einem Mann aus einer Wohnwagensiedlung bei Detroit zu, der über seine schwierige Kindheit, seine Ex-Frau und das Berühmtwerden gerappt hat: Die Rede ist von Eminem alias Slim Shady, der 1972 als Marshall Bruce Mathers III in St. Joseph, Missouri, geboren wurde.

 

Auch wenn man nicht mehr viel von Marshall Mathers hört, gilt der mittlerweile 47-Jährige Sänger als einer der Größten im Bereich Rap, also Sprechgesang. Das Album „Marshall Mathers LP“ ist weltweit 32 Millionen Mal verkauft worden, „The Eminem Show“ 27 Millionen Mal. Allein in Deutschland waren es jeweils knapp eine Million verkaufte Exemplare. Das Video zu „Without Me“ wurde bis heute knapp 850 Millionen Mal auf Youtube angeschaut. Für jene, die in der Zeit zwischen 1985 und 1995 geboren sind, war der Rapper die Stimme ihrer Generation, selbst wenn sie im Dorf oder der Vorstadt aufgewachsen sind, Tausende von Kilometern entfernt von Detroit. Wie hat Eminem das geschafft?

Eminem als Identifikationsfigur für weiße Kids

„Zum einen war es schlicht das Talent“, sagt Thomas Wilke, Medien- und Kommunikationswissenschaftler sowie Professor für Kulturelle Bildung an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. „Man kommt nicht einfach so an die Spitze, erst recht nicht im Hip-Hop, der ein ständiger Wettbewerb ist.“ Auch die Figuren, die Marshall Mathers erfunden hat, seien ein Erfolgsgarant gewesen – also Eminem und sein Alter Ego Slim Shady. „Man wusste nie, wer da gerade spricht.“

Und dann ist da die Hautfarbe. Vor Eminem war Hip-Hop ein Musikstil, in dem Weiße nichts verloren hatten. Ausnahmen bildeten eigentlich nur die Beastie Boys. „Als Weißer hat Eminem für viele Fans als Identifikationsfigur besser funktioniert als afroamerikanische Rapper. Und er hat gezeigt, dass auch ein Weißer richtig rappen kann und Street Credibility hat“, sagt Wilke. Zudem habe der Rapper in seinen Texten und Videos bewusst immer wieder weiße Klischees stereotypisiert und sich selbst in eine Gegenposition gebracht.

Mehrfach Frauen und Homosexuelle abgewertet

Dass Eminem als Weißer in der Szene respektiert wurde, hat auch damit zu tun, dass er immer authentisch wirkte. In vielen Liedern hat er sein Innerstes öffentlich gemacht – und das war oft ziemlich düster. In „Cleanin‘ out my Closet“ rechnet er hart mit seiner Mutter ab. Und auch die Probleme mit seiner Frau Kim, die bald zur Ex-Frau wurde, sind immer wieder Thema. Zu seiner Authentizität haben aber auch mehr als fragwürdige Äußerungen beigetragen. So äußerte sich Eminem mehrfach abwertend gegenüber Frauen und Homosexuellen. Heute, da Debatten über Feminismus und sexuelle Orientierungen eine andere Wucht haben als damals, würden seine misogynen, homophoben und auch gewaltverherrlichenden Aussagen nicht mehr so stehen gelassen oder gar gefeiert werden wie vor zwanzig Jahren.

Kein Bling-Bling mehr, sondern Parodie

Doch zurück zur Kunst. Die Fans waren auch fasziniert von Eminems Musikvideos, die damals eine viel größere Rolle gespielt haben als heute. „Seine Videos hatten eine ganz eigene Qualität“, sagt Thomas Wilke, „die Form der Parodie war neu. Plötzlich ging es in einem Hip-Hop-Video nicht mehr nur um Bling-Bling, also um teure Kleidung, Autos, Frauen, sondern auch um dessen gesellschaftlichen Kontext, der einbezogen und parodiert wurde.“ Zudem war auch die Art der Musik ungewöhnlich. Natürlich war Eminem ein Rapper, aber viele seiner Refrains und Songs hatten Popmusikqualitäten. Für Kinder und Jugendliche bedeutete dies: Auch wenn man kaum Englisch konnte, hat man etwas von seinen Texten verstanden. „Es hat etwas Verlässliches, wenn man weiß: Zumindest den Refrain, der gleich wieder kommt, kann ich mitsingen“, sagt Wilke. „Da wurden weiße Vorstadtkinder dort abgeholt, wo sie standen.“

Die Neuauflage kommt am 13. Dezember raus

Genau das ist wohl das Geheimnis hinter dem Erfolg von Eminem: Er hat seine Fans abgeholt! Wenn man sein Leben als nicht besonders gelungen empfand, was als Jugendlicher ja ein Dauerzustand ist, wusste man: Ich bin mit meinem Hadern nicht allein, dieser coole Rapper hat sogar noch größere Probleme als ich – ein Wissen, das manchmal viel wert sein kann im Kinderzimmer, weit weg von Drogen, Armut und Detroit.