Das täglich’ Brot kaufen die Deutschen zunehmend im Supermarkt und seltener beim Bäcker. Um die Kunden zu locken, braucht es Vielfalt statt Einheitsteig­linge. Gebäck aus Urgetreide könnte eine Lösung sein. Doch das kostet Geld – auch den Kunden.

Hohenheim - Es ist ja nicht so, dass einen Bauern nichts mehr überraschen könne, sagt Reinhard Hecker. „Aber wer Urgetreide anbaut, der darf sich jedes Jahr auf was gefasst machen.“ Seit knapp einem Jahrzehnt wachsen auf den 200 Hektar Acker des Landwirts aus dem Kraichgau neben Weizen, Roggen, Gerste auch die Uraltsorten Dinkel, Einkorn und Emmer. Gespritzt wird bei ihm nicht. Hecker gehört zur Marktgemeinschaft Kraichgaukorn aus dem Norden Baden-Württembergs, die seit 25 Jahren ungespritztes Brotgetreide anbaut und regional verkauft. Und so muss der Landwirt gerade bei den alten Sorten wie ein Luchs aufpassen, dass ihm nichts die Ernte verhagelt.

 

Letztes Jahr beispielsweise musste er dem Gelbrost Einhalt gebieten, der die Blätter des Dinkels schon bedrohlich verfärben ließ. Und jetzt hält das Gelbverzwergungsvirus das Einkorn klein und schmächtig. Das kennt der Landwirt sonst nur bei Getreidesorten wie Hafer, Gerste, Weizen und Roggen. Beim Urgetreide sei die Krankheit noch nie aufgetaucht. „Keiner weiß, wie wir das Problem in den Griff bekommen können.“

Urgetreide gilt als die gesündere und schmackhaftere Alternative zum herkömmlichen Weizen

Wer die Landwirte beim Getreide-Fachtag der Universität Hohenheim fachsimpeln hört, merkt schnell: Es liegt also noch einiges im Argen mit der Ährenrettung des Urgetreides, die von der Landessaatzuchtanstalt der Universität Hohenheim zusammen mit dem Landesinnungsverband für das württembergische Bäckerhandwerk seit einigen Jahren vorangetrieben wird.

Zwar setzen sich bei den jährlichen Fachtagungen immer mehr Bäcker, Landwirte und Müller auf die Bierbänke, die in der Tenne nahe den Versuchsfeldern der Uni aufgestellt wurden, um sich über die alten Sorten zu informieren. Sogar eine eigene Urgetreide-Gruppe im sozialen Netzwerk Xing wurde von der Uni aufgebaut. Anfangs waren es knapp 60 Teilnehmer, sagt Andreas Kofler von der Landesinnung der Bäcker. Heute zählt Kofler knapp 200. Selbst aus den Niederlanden sind Landwirte gekommen, interessiert am Urkorn, von dem es heißt, es sei die gesündere und schmackhaftere Alternative zum herkömmlichen Weizen.

Einkorn ist mit dem Handel von Asien nach Europa gekommen

Schon vor 10 000 Jahren gab es das Urgetreide Einkorn, das ursprünglich aus Asien stammt. Mit dem Handel gelangte es nach Europa und vermischte sich mit anderen Wildgräsern. So entstanden der würzige Emmer und der gehaltvolle Dinkel. Bis heute sind die alten Sorten weitgehend unverändert geblieben. Das hat Vorteile: „Einkorn, Emmer und Dinkel sind im Prinzip einfach anzubauen, seit jeher sind sie an die lokalen Bedingungen angepasst“, bestätigt der Leiter der Landessaatzuchtanstalt der Uni, Friedrich Longin. Ihr Spelz schützt die Sorten vor Unwettern und Krankheiten. „Aber perfekt sind sie deshalb nicht.“

Seit 20 Jahren betreibt die Uni Hohenheim Feldforschung beim Dinkel. Mit Erfolg: Einst sind die langen Ähren bei jedem Wind umgeknickt. Heute werden kürzere Sorten eingekreuzt. Dieselbe Strategie wenden die Hohenheimer beim Einkorn an, das ebenfalls zu hohem Wuchs neigt. „Wir haben eine ganz kurze Sorte gefunden, die kreuzen wir jetzt mit einer langen Sorte und selektieren dann nach der Höhe aus“, sagt Longin.

Das Urgetreide bringt nach wie vor weniger Ertrag

Problematisch bleibt die Verarbeitung: Denn hier wird der Vorteil des Spelzes zum Nachteil. Während Weizen nach dem Dreschen sofort vermahlen werden kann, muss beim Emmer und Einkorn erst die Schale vom Korn getrennt werden. Am Ende, sagt selbst der Zuchtexperte Longin, erreicht der Emmer lediglich 50 Prozent des Ertrags von Brotweizen, Einkorn sogar nur 25 Prozent. Selbst durch eine verbesserte Züchtung ließe sich der Ertrag nur bedingt steigern. Der Brotweizen wurde in den vergangenen 100 Jahren intensiv züchterisch verbessert. Das könne man beim Urgetreide so schnell nicht mehr aufholen. „Der Anbau bleibt nur rentabel, wenn die Landwirte einen Preisaufschlag erhalten.“

Den sind die Müller bereit zu zahlen – wenn die Abnahme des Mehls durch die Bäcker gesichert ist. Doch von denen ist nicht jeder selbstbewusst genug, die Mehrkosten beim Kunden wieder einzuholen. Zu groß ist bei vielen Kleinbetrieben noch die Angst, dass sie angesichts der 70-Cent-Dinkelbrötchen beim handwerklichen Bäcker lieber zu Ketten wie Kamps, LeCrobag oder Backautomaten gehen. Die bieten inzwischen für nicht mal 15 Cent ein Weizenbrötchen an.

Werbevideos für Urgetreide zeigen Bauern, die liebevoll über Ähren streichen

Man müsse als Bäcker schon experimentierfreudig sein, sagt Bärbel Fielitz vom schwäbischen Lebensmittelhersteller Schnitzer aus Offenburg, der ebenfalls Brot aus Urgetreide im Sortiment hat. Sie nimmt eines ihrer Brote in die Hand, gebacken aus einem Mix aus zwei Dritteln Dinkel- und einem Drittel Emmermehl. „Das funktioniert beim Kunden.“ Ein reines Emmer-Brot dagegen ist den Kunden meist zu würzig.

Lecker, gesund, natürlich: Mit diesen Schlagwörtern rührt das Unternehmen CSM Bakery Solutions die Werbetrommel – etwa mit Videos, in denen der Bauer beim Gang durchs Feld liebevoll über die Ähren streicht. Naturromantik, die beim Kunden ankommt, wie Manfred Laukamp von dem Hersteller und Lieferanten von Backzutaten und Tiefkühlbackwaren bestätigt. In Österreich verkaufen sich die Ursorten schon gut, die gleiche Entwicklung erwarte man in Deutschland. „Das wachsende Gesundheits- und auf Regionalität bezogene Bewusstsein unterstützen die Vermarktung.“

Die Bauern, Müller und Bäcker bleiben kämpferisch

Viele Bäcker setzen daher auf die guten Inhaltsstoffe. Vor allem Einkorn enthält bis zu zehnmal höhere Konzentration an cholesterinsenkenden Sterylferulaten, Vitamin E und den Augenschutzstoff Lutein – das haben erst jüngst Forschungen der Uni Hohenheim ergeben. Regelmäßig zu sich genommen könne es beispielsweise die altersbedingte Makuladegeneration (AMD) verhindern, sagen die Hohenheimer Lebensmitteltechnologen. AMD ist der Hauptgrund für die Altersblindheit.

Ackern, kneten und kämpfen – das täglich’ Brot will hart verdient sein. Aufgeben will aber keiner: die Bäcker nicht, die Saatzüchter nicht, die Müller ebenso wenig und auch nicht die Bauern. Der Landwirt Hecker wird auch künftig ein Drittel seiner Felder mit Urgetreide bestellen. „Es ist eben Landwirtschaft nach dem Motto Learning by doing“, sagt er. Das sei mühsam, aber auf eine gewisse Art auch ganz spannend.

Emmer, Einkorn, Dinkel – Das steckt hinter dem Urgetreide

Emmer: Die Getreidesorte Emmer wurde im Vorderen Orient schon vor 10 000 Jahren angebaut. Emmer ist ein Zweikorn. Bei ihm sitzen zwei Körner in den Ähren gegenüber. Emmer enthält Zink, Magnesium sowie Carotinoide. Das Gluten im Emmer kann Zöliakie auslösen. Einkorn: Einkorn, die Urform des Weizens, gelangte vor 5000 Jahren nach Europa. Im Einkorn stecken bis zu 50 Prozent mehr hochwertige Proteine als in Weizen. In den Ähren sitzt immer nur ein Korn – daher der Name. Ernährungsphysiologisch gilt Einkorn als sehr wertvoll: Enthalten sind Carotinoide, Mineralstoffe und Spurenelemente wie Magnesium, Zink, Eisen, Kupfer und Mangan. Einkorn kann Zöliakie auslösen. Dinkel: Diese bespelzte Weizenform hat einen hohen Anteil an Klebereiweiß (Gluten). Dadurch lässt es sich gut verarbeiten und ist als Brotgetreide sehr beliebt. Auch Dinkel ist ein Zweikorn wie Emmer. Es enthält reichliche Mineralstoffe, aber auch Kieselsäure, Zink und Vitamine B1, B2, B6 und E. Aufgrund des Klebereiweißes kann Dinkel Zöliakie auslösen.